Der Esel in der Tenne

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In Wile nennt sich eine kleine Ortschaft im Bezirk Wollerau, Kanton Schwyz. Bei dem dortigen reichen Hofbauern pflegte ein armes altes Männlein, das vom Kräutersammeln sich nährte, alle Jahre einmal seine Einkehr und Nachtherberge zu nehmen. Öfter zu kommen war ihm bei den geizigen Leuten nicht erlaubt. Auch wies man ihm über Nacht niemals ein Bette an, obschon da ein paar hochaufgerüstete allzeit ledig standen. Das Kräutermännlein aber fügte sich und übernachtete auf dem Heuboden. So lag er hier einmal wieder im Heu auf dem obern Stock, als sein Hofbauer drunten in die Tenne trat, eine Laterne, eine Haue und einen Kupferkessel mit sich schleppend. Er grub den Boden der Tenne auf, senkte den grossen Käsekessel in die Grube hinab und machte sich dann wieder fort. Bald kam er abermals zurück, brachte einen Sack Thaler mit sich und warf ihn mit den Worten in den offenen Kessel: „Du musst in drei Teufels Namen vergraben sein!“ So gieng der Bauer dreimal ab und zu und warf dreimal seine Säcke in den Kessel. Ebenso oft war aber inzwischen auch das Kräutermännlein vom Heustock herunter gestiegen, und weil es dessen gar zu wenig hatte, was jenem Geizhals zu viel war, hatte es sich jedesmal eine Tasche voll Thaler aus dem Sack genommen und sich rechtzeitig damit wieder unters Heu verkrochen. Nun kam der Mann zum vierten Male herein. Diesmal brachte er ein schneeweisses Eselein mit sich, auf dem ein rother Mantel lag. Mit diesem umgieng er dreimal den Kessel, wiederholte eben so oft seine Verwünschung: „Du musst in drei Teufels Namen vergraben sein!" Hierauf schüttete er den Kessel zu, schlug dem Esel in drei Teufels Namen ein Bein ab und schleppte das arme Thier mit sich hinaus. Das Kräutermännlein schlief nach diesem auch nicht lange mehr, sondern machte sich mit dem Frühesten aus der Scheune fort auf den Weg.

Als aber die Zeit um war und es das nächste Jahr wieder in dieses Haus kam, fand sich hier alles verändert. Der Bauer war schon seit einem halben Jahre gestorben. Die zwei Töchter wussten von nichts als Kummer und Verdruss zu sagen. „Seitdem Ihr das letztemal bei uns gewesen seid, ist in unserm Hause nur Noth und Elend. Der Vater hat keinen gesunden Tag mehr gehabt, und da er starb, hat sich von dem grossen Vermögen, das er nach dem Glauben der Leute besessen hatte, gar nichts vorgefunden. So ist auch die gute Bekanntschaft, die wir hatten, ausgeblieben. Wir bekommen allbeide keine Männer und wissen uns nicht mehr zu helfen." Jetzt gieng dem Kräutermännlein plötzlich ein Licht auf. Wenn es weiter nichts ist als dies, sagte er, so kann ich euch wohl diese Nacht schon helfen. Schafft mir nur in aller Stille und ohne dass man es merkt, einen Esel und einen rothen Mantel herbei. Der Esel stand noch immer im Stalle, schneeweiss, aber nur dreibeinig, seit ihm der Bauer den einen Fuss abgeschlagen hatte. Bei der Frau des Ortsweibels entlehnte man ohne Aufsehen den rothen Amtsmantel. Damit giengen sie in die Tenne und gruben an der alten Stelle nach, trieben dann das Eselein mit dem rothen Mantel wiederum in drei Teufels Namen um das Loch herum, aber diesmal nach links, weil der verstorbene Bauer einst damit nach rechts gefahren war. Und siehe, da lag das Geld in den drei Säcken. Die Töchter wollten sogleich mit dem Kräutermännlein theilen. Er erzählte ihnen aber den einstigen Hergang und wie er sich vordem schon seinen Theil zu dreien Malen davon genommen hatte. Nun sei dies freilich längst aufgebraucht. Lasse man ihn aber noch einmal aus jedem Sacke einen Griff thun, so habe er für seine noch übrige Lebenszeit vollauf genug. Die Töchter thaten es und das Männlein verliess sie unter grossem Danke. Von nun an gieng im Hause alles wieder gut. Der Geist, der seit dem Tode des Vaters in der Tenne gepoltert hatte und mit vielen Seelenmessen doch nicht abzutreiben gewesen war, legte sich jetzt zur Ruhe, und mit dem wieder gefundenen Gelde stellten sich auch die Freier wieder ein. Bald waren die zwei Töchter hübsche Weiber. (Marie Stössel aus Wollerau.)

E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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