Der alte Edelmann von Hallwil hatte einen einzigen Sohn; er hiess Walther, nannte sich aber nach Christi Jünger Johannes, seit er mit andern Adeligen das Gelübde getan, das Kreuz zu nehmen, und eine Wallfahrt nach dem heiligen Grabe zu machen. Obwohl der Greis seinen Stammhalter nicht gerne ziehen sah, so musste er es doch geschehen lassen; aber zum Wahrzeichen, dass sein Johannes der alleinige Erbe und Nachfolger in der Herrschaft sei, zog er einen Goldring vom Finger und brach ihn vor allen Dienern entzwei. Die eine Hälfte übergab er seinem Beichtvater, der einst das Testament vollstrecken sollte; die andere Hälfte reichte er dem scheidenden Sohne; damit sollte dieser bei der Rückkehr seine Ansprüche männiglich erhärten, unbegründete fremde zurückweisen. Zwanzig Jahre waren indess vergangen, der Greis war längst gestorben, keine Kunde vom Sohne war je gekommen. Niemand vom ganzen Herrengeschlechte war übrig, als ein habsüchtiger Oheim, das war der reiche Abt des benachbarten Stiftes Muri. Also zog dieser das Schloss an sich und verwandelte es schleunig in ein Kloster. Schon lange hatten sich hier die Mönche an den grossen Hechten des Hallwilersees gütlich getan und an dem Edelwilde der Hochwälder am Homberge, da pochte eines Tages ein fremder Ritter an die Klosterpforte. Auf die erste Frage um sein Begehr nannte er sich Hallwil. Der erschreckte Pförtner lief nach dem Grosskellner, der Grosskellner nach allen Patres und Fratres, der ganze Convent endlich nach dem berühmten halben Ring, den ihnen des verstorbenen Grafen Beichtvater zur Urkunde ihres Besitzes ausgeliefert hatte; und hinunter ging's damit vor das Tor, wo eben der Ritter die andere Hälfte den Betroffenen vor die Augen hielt. Man passte sie aneinander, sie waren wie zusammengegossen. Allein sogleich erschien auch der Prior, triumphierend brachte er noch eine dritte Hälfte jenes Ringes auf der Hand daher getragen. „Was für ein Lärm!“, ruft er, „Hier ist schon längst unser ganzer Ring, in seinen beiden Hälften, wie ihn unsere Sakristei verwahrt; ein Pilger hat uns diesen hier zu jenem Teile des Grafenringes vor langem gebracht, und zwar aus der Hand des armen Johannes selbst, der im Morgenlande an der Pest gestorben ist, dessen letzter Atemzug uns sein Schloss übergab, damit wir darin für seine Seele beten und ihm Verzeihung der Sünden erwerben. Hinaus mit diesem frechen Betrüger, der die Grabesruhe des Stifters und die Andacht unserer Brüder stört!“ So sprach der Prior, und die Tore des Klosters fuhren zu. Wie ein Bettler stand der junge Graf draussen vor seinem Erbe. Welches Gesetz hätte sich gegen solche Arglist vorgesehen gehabt, welcher Rechtsspruch solche Schlingen entwirren können! Hier konnte nur das Gottesurteil entscheiden. Johannes berief die Mönche in die Schranken vor Aarau und entbot ihnen den Zweikampf. In ihrem Namen stellte sich des Klosters Schirmvogt, der Ritter von Rüssegg. Unter dem Geleite des Freien von Mülinen ritt der gerüstete Johannes in die Bahn, der Abt von Kappel besetzte das Gericht. Draussen an der Stadt unter der grossen Linde am alten Aarufer vor geschworenen Zeugen und allem Volk geschah der Kampf. Der von Rüssegg wurde vom Pferde gehauen und getödtet, sterbend bekräftigte er seines Gegners Recht. Die erbschleicherischen Mönche mussten ihren Raub fahren lassen, Johannes bezog sein Schloss, noch besitzt es sein Stamm. Dies soll im Jahre 1272 geschehen sein. Zwei Jahrhunderte später rettete sein Enkel die ganze Schweiz durch seinen Sieg in der Schlacht bei Murten.
E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch