Das Linthbord-Anneli war ein junges Mädchen aus Uznach. Von Jugend auf war es an beiden Füssen lahm. Es war aber gottergeben und trug die Hoffnung bei sich, wenn es eine Wallfahrt nach Einsiedeln zur Mutter Gottes unternehmen könnte, würde es geheilt. Aber wie machen? Gehen konnte es nicht, und niemand wollte sich seiner annehmen. Gegen den Willen seiner Angehörigen schlich es sich heimlich von Hause fort und kroch auf allen vieren gegen die Linth hinunter, um so die Wallfahrt auszuführen.
Die Flucht von Uznach gegen die Linth, die Überfahrt über dieselbe, die Erscheinung des Heilandes beim Linthbord und die Heilung daselbst, sowie die Fortsetzung der Wallfahrt nach Einsiedeln sind in Wandgemälden in der anno 1895 restaurierten Kapelle Linthbord dargestellt und die Erzählung in nachfolgenden Versen unter den vier Wandgemälden angebracht.
Geschichte der lahmen Anna, 1580.
Meine Hoffnung ist zu Gott allein,
Durch Fürbitt' seiner Mutter rein,
Nach Einsiedeln ist mein Begierd',
Dort hoff' ich, Gott mir helfen wird.
Auf allen Vieren bis an d' Linth
Mit Müh' ich kriech; da mich geschwind
Um Gotteswillen ein Schiffmann gut
Auf Bitt' hinüber fahren tut.
An diesem Ort sah ich ein Mann,
Ganz ehrbar und weiss angetan,
Der fragt mich freundlichst anbei,
Wohin meine Reise gerichtet sei.
Der Mann befiehlt, ich aufstehen sollt,
Das konnt' ich nicht, ob ich gleich wollt.
Drauf meinen Fuss gar sanftiglich
Von freiem er durchab bestrich.
Bietet mir hernach die Hand und spricht:
„In Gottes Namen werd' aufgericht!"
O wunderbar, ich war zur Stund
Im Augenblick grad und gesund.
Der Mann gibt mir zu Gottes Ehr
Ermahnung und viel gute Lehr,
Fragt auch, wie ich's anfangen woll.
Meine Fahrt mit Fleiss verrichten soll.
Als ich kaum dreissig Schritt fortkam
Mich dieser Mann dann Wunder nahm,
Wie ich umschau, merk' ich zur Stund',
Dass er alsdann vor mir verschwund.
Gen Einsiedeln ich komme an,
Hab' dort verkündet jedermann
Das Wunder, so mir Gott der Herr
Erwiesen hat zu seiner Ehr.
Durch Ferd. Morger.
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 400, S. 229
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.