Ein armer Taglöhner holte eines Abends im Wirtshaus Wein für seine kranke Frau. Auf dem Heimweg — die Nacht war inzwischen hereingebrochen — begegnete ihm ein munteres Zwergenvölklein.
Sie fragten ihn: «Was hast du in deiner Flasche ?» «Wein für eine schwache Kindbettfrau», gab der Taglöhner zur Antwort.
«Gib uns eines davon zu trinken», bettelten die kleinen Wichte. Umsonst suchte der gute Mann nach Ausflüchten und gab vor, der Wein reiche auf keinen Fall für alle. Immer ungestümer drängten sich die Kleinen herzu und beteuerten: «Wir wollen dir noch genug übrig lassen für deine Frau! »
Da reichte er ihnen die Flasche, und das Völklein nippte so fleissig und ergiebig daran, dass der arme Mann fürchtete, die Bolde möchten ihm den letzten Tropfen austrinken. Als sie ihm aber die Flasche wieder reichten, war sie noch voll wie zuvor.
Die Zwerglein schärften ihm ein, weder seiner Frau, noch sonst irgendeinem Menschen zu sagen, dass sie daraus getrunken.
Seine Frau konnte von dem Wein trinken, so oft und so viel sie wollte, nie wurde die Flasche leer. Das kam ihr sonderbar vor, und sie wollte wissen, was für Hexenwerk ihr Mann mit dem Wein getrieben habe. Nach langem Zögern musste er seinem Weibe das Geheimnis entdecken. Aber von der Stunde an füllte sich die Flasche nicht mehr von selbst. Und je fleissiger der Mann nachher im Wirtshaus einkehrte, um sie füllen zu lassen, um so rascher war sie jedesmal wieder leer.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.