Wenn die Sennen auf den Alpen sind, geschieht es zu Zeiten, dass in der Nacht eine Stimme gehört wird, gleich der eines Sennen, wenn er die Kühe ruft, welcher Stimme dann die Kühe unter Anführung der Meisterkuh alsobald nachgehen. Ruft nun der Hirt sie mit seiner wahren Stimme nicht wieder zurück, so kommen sie fort, dass man sie nicht finden kann. Drei Tage hernach finden sie sich aber auf ihren gewöhnlichen Weidplätzen auf den Alpen, mit angefüllten Eutern, wieder ein. Oft auch, und namentlich bei Nacht, wenn Sturm, Regen und Hagelwetter eingetreten sind, befällt sie eine solche Unruhe, dass sie wie toll über Stock und Stein davon fliehen und kein Rufen der Sennen sie mehr zurückbringt. Dies ereignet sich jedoch bisweilen auch am Tage, obwohl sich kein äusserer Grund davon entdecken lässt. Dann aber hält ihren Lauf selbst der tiefste Abgrund nicht auf, in blinder Hast stürzen sie darauf zu, ein Sprung und zerschmettert liegen sie in der Tiefe. Einstmals soll sich ein kühner Hirtenknabe, als solche Wut über seine Herde kam, an den Schweif der hintersten seiner Kühe angehängt haben und mit derselben verschwunden sein. Nach drei Tagen kehrte er jedoch mit ihr wieder auf die Alp zurück. Niemals hat er aber sagen wollen, wo er gewesen und was er während seiner Abwesenheit alles gesehen und erlebt.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch