Über dem Städtchen Waldenburg lebte einst ein Ritter, der weit und breit gefürchtet war. Er liess die armen Leute Tag und Nacht schuften, während er selbst auf seiner Burg rauschende Feste feierte..
Unweit der Burg lebte ein Tagelöhner in einer kleinen Hütte. Trotz der vielen Arbeit litten er, seine Frau und die vielen Kinder Hunger.
Es war im Herbst, als sie alle am Tisch sassen, vor sich nichts als eine dünne Wassersuppe, als es klopfte.
Draussen stand ein Bote des Ritters und sprach: «Du sollst zur Burg kommen, Steine schleppen.»
Da packte den armen Mann der Zorn. Er zeigte auf die leere Schüssel und sagte: «Wenn der Burgherr diese Schüssel mit Essen füllt, damit meine Kinder satt werden, dann komme ich.»
Der Bote eilte davon, und bald darauf kamen die Knechte, holten den Mann ab und sperrten ihn ins Burgverlies.
Jeden Tag ging die Frau des Tagelöhners zur Burg und bat um das Leben ihres Mannes. Doch nichts half.
Der Winter kam, der Schnee lag hoch, als der Ritter mit seiner Jagdgesellschaft auf dem Weg in den Wald war. Da trat ihm die arme Frau in den Weg und bat: «Bitte, lasst meinen Mann frei und gebt uns Brot, sonst sterben wir alle diesen Winter.»
Zornig nahm der Ritter einen Stein von der Burgmauer, warf ihn der Frau hin und sagte: «Hier hast du Brot. Wenn du es aufgegessen hast, lasse ich deinen Mann frei!»
Die Frau schaute auf den Stein in ihren Händen und dann rief sie: «Dein Herz ist hart wie Stein, ich wünschste du würdest selbst zu Stein!»
Der Ritter wollte lachen und davonreiten, doch auf einmal wurde sein Gesicht grau, die Hand sank herab, die Beine wurden steif, nur ein leises Stöhnen war noch zu hören, da stand er zu Stein geworden vor seiner eigenen Burg.
Entsetzt ritten die Adligen davon und kehrten der Burg den Rücken. Die Waldenburger aber befreiten die Gefangenen und teilten die Schätze des Ritters mit den Ärmsten der Stadt.
Der Ritter steht noch heute, kaum erkennbar, neben den Ruinen seiner Burg. Wind und Wetter haben ihn verwittern lassen, nur manchmal, wenn in Winternächten der Sturm um die Burg braust, hört man ein seltsames Stöhnen aus dem verwunschenen Stein.
Fassung Djamila Jaenike, nach: Meinrad Lienert, Schweizer Sagen und Heldengeschichten, Stuttgart 1915, auf www.maerchenstiftung.ch