Vor alten Zeiten hatte die untere Gemeinde Wilägeri von der Stadtgemeinde Zug ein Geldanleihen erhoben, unter der Bedingung, die geborgte Summe auf einen bestimmten Tag wieder zurückzuerstatten. Zur Sicherheit dafür setzten sie ein Stück Land am Rossberg ein. Die Verfallzeit kam. Die Ägerer hatten aber das Geld beisammen und waren bereit, am festgesetzten Tage dasselbe der Stadtbehördc Zug einzuhändigen. Ein betreffender Ausschuss begab sich zu diesem Zwecke auf den Weg, um noch vor der Abendstunde, in welcher die Betglocke den Tag schliesst, in der Stadt einzutreffen.
Gleichsam als wären sie spazieren gegangen kamen einige Herren von Zug am gleichen Tag nach Allenwinden. Fast zu gleicher Zeit trafen diese mit den Wilägeriherren im Wirthshaus daselbst zusammen. Man lud sich gegenseitig zu einem frischen Trunk ein. Die Zugerherren zeigten sich gar generös und liessen eine Bouteille um die andere auftragen. Es musste nicht Most, weder Walchwiler noch Hitzkircher sein, man trank ächten Zürcher und glühenden Saft aus Burgund. Schnell und froh ging die Zeit vorüber, man merkte es kaum, bis der Tag sich zu neigen begann.
„Es will schon Abend werden“, rief endlich einer der Abgesandten von Wilägeri, „wir müssen aufbrechen und unser Geld noch vor Betglockenzeit dem Stadtrat einhändigen, sonst verlieren wir die Alpe."
„Ihr kömmt immer noch zur rechten Zeit", bemerkte ein Herr von Zug, in der Absicht, die Ägerer noch länger hinzuhalten. Diese aber, sei es, dass sie der Sache nicht trauten, oder sonst von ihrem Pflichteifer fortgetragen wurden, begaben sich sofort auf den Weg nach der Stadt Zug. Schon lag dieselbe vor ihren Augen mit ihren staatlichen Türmen in der Abendsonne glänzend. Noch zehn Minuten und das Geld hat sein Ziel gefunden.
Unvermerkt aber war ein Zugerherr auf einem Nebenweg zum Sankt Michaelissigrist vorausgeeilt, der schnell die Betglocke läuten musste.
Eben traten die Ägerer durch's Stadttor ein, als vom hohen Michaelsturm die Betglocke erklang. — Das gab einen bösen Klang; die Kreuzlitaler in der Tasche stimmten mit ein. Doch die Boten eilten auf das Stadthaus, indes die Betglocke verklungen, und warfen das Geld auf den Tisch. — Die Zugerherren aber schoben dasselbe langsam zurück: „Es tut uns leid, ihr habt euch verspätet, Tag und Stunde sind vorüber und die Betglocke hat dem Markt ein Ende gemacht. Euch bleibt das Geld, uns aber das Alpeli."
Freilich war die Sache abgetan. Die guten Wilägerer kehrten zurück, aber nicht in der besten Laune.
Von dieser Zeit an wird das Land, welches auf der Höhe des Rossberges liegt, „Zugeralpeli" oder einfach „Zugerli" genannt. Die Grenze kann jeder Wilägerer von weitem zeigen, das Zugeralpeli hat aber auch eine auffallend merkwürdige March.
Quelle: Alois Lütolf, Sagen, Bräuche, Legenden aus den fünf Orten Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, Luzern 1865. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch.