Die Versöhnung

Land: Schweiz
Region: Zürich Stadt, Zürichsee
Kategorie: Sage

Einst geschah es in unserm Schweizer Vaterlande, dass sich die beiden hochangesehenen, kampfbewährten Hauptleute Zurkinden von Zürich und Arnold Winkelried von Nidwalden, ein Nachfahr des ewig unvergesslichen Helden von Sempach, schwer beleidigten. Seither hassten sie sich grimmig. Man wagte es nie getrost, die beiden tatkräftigen Krieger zusammenkommen zu lassen. Allezeit fürchteten nämlich ihre hierüber betrübten Eidgenossen, sie möchten sich aneinander machen und sich gegenseitig zuschanden hauen.

Aber als nun der Schwabenkrieg ausbrach und die Eidgenossen schleunigst, in Eilmärschen, gegen den deutschen Kaiser Max zu Felde zogen, war es nicht zu verhindern, dass die verschiedenen Landesbanner zusammen getragen wurden, und dass also auch die zwei Grimmbärte von Zürich und Unterwalden, Zurkinden und Winkelried, sich im Hauptlager der Schweizer zusammenlassen mussten.

Doch war es den Führern der Völker aus all den eidgenössischen Gauen bei der Sache nicht wohl, denn mit Betrübnis bemerkten sie, wie sich die zwei sonst so biderben Männer herausfordernd ansahen, wenn sie sich begegneten. Und da sie ihren Heerhaufen die tüchtigsten Hauptleute in dieser gefährlichen Zeit besonders gerne erhalten hätten, beschlossen sie, die zwei Hasser vor sich kommen zu lassen. Und als nun die beiden Hauptleute Zurkinden und Winkelried vor den Heerführern und Landammännern standen, redeten sie ihnen heiligen Ernstes zu, sie möchten doch ihre eigenen, persönlichen Streithändel vergessen und des hartbedrängten Vaterlandes eingedenk sein und wenigstens so lange Frieden und Eintracht im Lager nicht stören, bis der Krieg mit den Schwaben so oder anders zu einem Ende komme. Nachher aber, falls sie sich alsdann noch nicht eines Bessern besonnen hätten, könnten sie ja ihren bösen Streit männlich mit dem Schwert ausfechten.

Die beiden stolzen Krieger sahen sich mit keinem Auge an, gelobten jedoch den Landeshauptmännern feierlich in die Hand, dass sie während des Krieges ihre Fehde nicht beachten wollten.

Da geschah es eines Tages, dass sich Arnold Winkelried, der Nidwaldner, bei einem Streifzug in Feindesland, gar zu weit vorwagte. So kam es, dass er sich auf einmal von Kaiser Maxens Reiterei überrascht und umringt sah und trotz aller Tapferkeit und Fechtkunst es nirgends zu einem Ausschlupf brachte. Immer mehr drückten die Reiter auf ihn, und obwohl er sie sich mit seinem doppelschneidigen Schweizerschwerte handlich vom Leibe hielt und manch einem aus dem Sattel half, sah er doch ein, dass er nächstens erschlagen oder gefangen würde.

Unterdessen hatte aber der Zürcher Hauptmann Zurkinden vom Überfall und der Bedrängnis Winkelrieds Wind bekommen. Flink saß er mit einem Tross seiner Leute auf und fuhr unversehens und wie das heilige Donnerwetter also über die kaiserlichen Reiter her, dass es ihnen die Blechhüte samt den Köpfen zu Boden hagelte, und dass ihre erschreckten Pferde die Beine verwarfen wie ein aufgescheuchter Hase die Löffel, und durchgingen. Im Hui war der zum Tod erschöpfte Winkelried befreit, was ihm gewaltig zu Herzen ging. Doch stumm und kalt ritt er vor seinem Befreier Zurkinden her davon, worauf ihm dieser ebenso schweigsam nachfolgte, auf eines Kriegsknechts Ross reitend, denn das seinige war ihm im Kampf abgestochen worden.

Es mochten seit dieser treueidgenössischen Tat ein paar Tage vergangen sein, da gab es im Lager bei den Zelten der Zürcher ein großes Aufsehen. Nämlich, vor Zurkindens Zelt hielt der Held aus Nidwalden, Arnold Winkelried, in voller Rüstung. Er saß auf einem prächtigen edelrassigen Hengst, den er vordem den Feinden abgenommen hatte und lud mit gewaltiger Stimme seinen Todfeind Zurkinden heraus.

Schmerzbewegt hörte dieser den Hauptmann aus Unterwalden, den er doch erst aus einem feindlichen Knäuel herausgehauen hatte, nach ihm rufen. Aber er besann sich nicht lange und schritt bald, ebenfalls in blinkendem Harnisch und wohlbewehrt, aus seinem Zelt, um den wider alle Abrede aufgezwungenen Zweikampf mit Gotteshilfe siegreich auszutragen.

Doch vor dem Zelte standen schon die Anführer der Eidgenossen und versuchten mit Wort und Gebärde und voll Betrübnis und Unmut, die beiden Helden von einander abzuhalten.

Aber kaum hatte Winkelried den Zurkinden erblickt, sprang er vom Pferd und rief mit bebender Stimme: „Sei unbesorgt, ich komme in guter Meinung. Meinem Retter will ich danken, und seinen Dienst kann ich nicht unvergolten lassen. Nimm diesen Hengst von mir an!“

Jetzt stürzten die beiden Starkmütigen auf einander los und umarmten sich vor den hocherfreuten Heerführern und dem ganzen Lager von Herzen. Die zwei Hauptleute hielten denn auch von da an bis an ihr seliges Ende eine bodengute, felsenfeste Freundschaft.

 

Meinrad Lienert, Zürcher Sagen. Der Jugend erzählt, Zürich 1918.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

 

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