Der lahme Jean

Land: Schweiz
Region: Greyerz
Kategorie: Sage

Schon sieben Jahre war die Gräfin von Greyerz verheiratet, doch noch immer wartete sie vergeblich auf einen Sohn und Erben. Kein Arzt konnte ihr helfen, keine Medizin und auch die Wallfahrten zur Kathedrale Notre-Dame nach Lausanne oder zur Loretokapelle in Freiburg zeigten keine Wirkung. Die Gräfin wurde immer trauriger und es schien ihr keine Freude mehr zu geben in dieser Welt.

Oft ging sie, in einem schlichten Kleid, wie es die Dienerinnen und Mägde trugen, zur Kapelle des heiligen Johannes. Sie betete und bat die Muttergottes um einen Sohn.

Nun lebte in der Gegend ein Bettler, Jean l’Éclopé. Alle nannten ihn nur den lahmen Jean, denn er konnte nur langsam und hinkend gehen konnte. Manche gaben ihm aus Mitleid etwas Brot und Käse, andere verspotteten ihn und jagten ihn fort, aber er sagte zu allen: «Möge Gott dir geben, was dein Herz begehrt».

Auch er kehrte in der Kapelle ein und kniete vor der Statue der Muttergottes nieder und küsste ihre Hand. Da sah er die Frau in einfacher Kleidung, die weinend vor dem Altar kniete und betete. Er stand auf und ging hinkend zu ihr. Voller Mitleid nahm er seinen Beutel, den er immer bei sich trug, und holte daraus etwas hartes Brot und alten Käse heraus. Er teilte es in zwei Stücke und gab es der traurigen Frau mit den Worten: «Möge Gott dir geben, was dein Herz begehrt». Dann ging er humpelnd davon.

Die Gräfin hielt die Gaben in der Hand und trug sie ehrfürchtig nach Hause. Dort erzählte sie ihrer alten Amme von ihrem Erlebnis und weihte sie ein in ihren Plan. Denn im Schloss wurde an jenem Abend ein Bankett veranstaltet. Die Ritter kamen von der Wildschweinjagd und freuten sich auf ein reichliches Mahl. Als alle zu Tisch sassen, liess die Gräfin von ihrer Amme eine Schale bringen, darin war nichts anderes als das Stück Brot und der alte Käse des Jean l’Éclopé.

Verärgert schaute der Graf seine Frau an, und diese begann zu erzählen: «Ich war in der Kapelle im Gebet versunken, und bat Gott um einen Sohn, als Jean l’Éclopé die Kirche betrat. Er hielt mich in den einfachen Kleidern für eine Bettlerin und schenkte mir dieses Brot und diesen Käse mit den Worten: Möge Gott dir geben, was dein Herz begehrt.

Es ist mir immer eine grosse Freude, wenn ich den Armen Brot schenken kann, aber noch grösser war meine Freude, dieses Geschenk zu empfangen.»

Die Ritter schwiegen, bis schliesslich einer ein kleines Stück vom Brot und vom Käse nahm und sagte: «Grösser als alle meine Siege, ist die Ehre, ein Stück von diesen Gaben zu essen».

Auch die anderen Ritter nahmen ein Stück und folgten den Worten des ersten. Auch der Graf nahm davon, bis nur noch wenig übrig war. Das teilten die Gräfin und die alte Amme, die dann sagte: «Herrin, vom Brot will ich essen, aber von dem Käse erst, wenn Ihr einen Sohn bekommen habt.»

So blieb dieses Essen allen in Erinnerung, und noch lange wurde davon gesprochen, dass als erste Speise die Gaben des lahmen Jean geteilt wurde. Doch wie gross war die Freude, als die Gräfin nach neun Monaten einen gesunden Jungen zur Welt brachte. Da holte die alte Amme das Stückchen Käse hervor, das sie aufbewahrt hatte, und ass es voller Begeisterung, obwohl es schon hart und ranzig war.

Zur Taufe liess man die Ritter kommen, die damals beim Bankett dabei waren und der junge Graf erhielt den Namen Jean.

Und Jean l’Éclopé? Die einen sagen, man habe ihn suchen lassen und ihm eine Bleibe im Schloss gegeben, damit er nie mehr hungern musste. Andere meinen, er sei immer noch unterwegs und bedanke sich bei allen mit den Worten: «Möge Gott dir geben, was dein Herz begehrt».

Neu erzählt von Djamila Jaenike, nach: «Jean l’Éclopé »,  aus: J. Genoud, Légendes Fribourgeoises, Fribourg 1892. Eingelesen und aus dem Französischen übersetzt von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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