In uralten Zeiten lebten überall auf der Welt noch viele Drachen. Manche waren gutmütig, frassen nur Pflanzen, Früchte und Wurzeln und taten niemandem etwas zuleide.
Es gab aber auch gefährliche Drachen und giftige Lindwürmer. Sie raubten schöne Jungfrauen und schleppten sie in ihre Höhlen, spien Feuer, frassen alles, was sie erwischen konnten und verwüsteten ganze Länder. Einer der gefährlichsten Drachen war der Basilisk. Er war zwar nicht sehr gross, aber ein grässliches Untier. Auf dem Kopf trug er einen Hahnenkamm. Er hatte den geflügelten Leib eines Drachen und einen langen, schlangenartigen Schwanz. Seine dicken, kräftigen Hinterbeine waren mit scharfen, gebogenen Krallen versehen. Auf seinen starken Hinterbeinen konnte der Basilisk schneller rennen als jedes andere Tier. Er flitzte auch über Teiche und Bäche, ohne einzusinken. Sein Atem war so giftig, dass in seiner Umgebung alle Pflanzen verdorrten. Sein stechend böser Blick tötete jeden, der ihm in die Augen sah. Diese gespenstischen Tiere schlüpften aus schwarzen Eiern, die von schwarzen Hähnen gelegt und auf Schlangen- und Krötenmist ausgebrütet wurden.
Alle Leute, die einen schwarzen Hahn besassen, mussten darum sehr gut auf ihn aufpassen.
Unweit von Basel, in der Gegend des heutigen Allschwiler Waldes, lebte einst ein so scheusslicher, unheimlicher Basilisk.
Immer wieder wurden Jäger, Beerenfrauen, Pilzsammler und Wanderer im Wald tot aufgefunden, und niemand wusste, wie sie umgekommen waren. Es herrschte Angst und Trauer im Lande.
Eines Tages entdeckte eine alte Frau beim Pilzsuchen den gefährlichen Basilisken. Sie beobachtete gerade einen Hasen, der am Eingang einer Erdhöhle herumschnupperte, als plötzlich der Drache aus dem Loch hervor schoss. Er sah dem Hasen mit seinem tödlichen Blick in die Augen. Wie vom Blitz getroffen fiel das arme Tierchen um und war tot. Die alte Frau erzählte überall, was sie gesehen hatte. Es wurde beschlossen, das mörderische Ungeheuer zu fangen und zu töten.
Damals lebten in einem kleinen Bauerndorf nahe beim Allschwilerwald zwei mutige Brüder namens Wunibald und Wenzeslaus. Sie nahmen sich vor, den Basilisken unschädlich zu machen. Das war eine schwierige und gefährliche Aufgabe.
Zunächst warf Wenzeslaus ein Netz über das Erdloch. Aber der Basilisk zerriss das Netz mit seinen scharfen Krallen. Dann verstopfte Wunibald den Höhleneingang mit Erde und Moos. Doch kaum war die Sonne aufgegangen, sahen die Brüder aus ihrem Versteck, wie der Drache mit einer Moosmütze aus seinem Unterschlupf auftauchte. Die Brüder berieten sich untereinander.
«Wir müssen das Erdloch zumauern», sagte Wenzeslaus.
So machten sie sich ans Werk. Es war eine harte Arbeit. Damals gab es ja noch keine Zement und keine Baumaschinen. Wenzeslaus und Wunibald mussten eine Art Ofen bauen und darin Kalksteine über einem starken Feuer so lange erhitzen, bis man sie zu Staub zerreiben konnte. Diesen Kalkstaub vermischten sie mit Wasser, mauerten damit das Loch zu und warteten, bis der Kalk ganz hart geworden war. Sie seufzten erleichtert auf.
«So, jetzt kann der giftige Kerl für immer und ewig da drinnen bleiben.» Aber schon nach wenigen Tagen wurde wieder ein Pilzmannli tot im Wald liegend aufgefunden. Der Basilisk hatte sich einfach einen neuen Ausgang gegraben. Wunibald und Wenzeslaus aber gaben nicht auf. Sie schliefen kaum noch, beratschlagten hin und her und überlegten Tag und Nacht, wie sie dem Untier den Garaus machen könnten. Einmal, mitten in der Nacht, sprang Wenzeslaus aus dem Bett, rüttelte seinen Bruder wach und rief: «Ich hab’s – wir brauchen einen Spiegel!»
So gingen die beiden in aller Herrgottsfrühe zu einem Glasmacher und bestellten einen grossen Spiegel. Sie trugen ihn in den Wald, stellten ihn vor dem neuen Erdloch des Basilisken auf und versteckten sich hinter einer riesigen Eiche. Viele Stunden warteten sie. Endlich hörten sie ein Scharren, Kratzen und Schnauben – der Basilisk kletterte aus seiner Erdhöhle, stand auf seinen dicken Hinterbeinen aufrecht vor dem Spiegel – blickte sich selber in die stechenden Augen, fiel um und war mausetot.
Das Land war nun von dem gefährlichen Basilisken befreit. Alle freuten sich und feierten ein grosses Fest. Heute können wir wieder ruhig im Allschwilerwald herumwandern. Basilisken gibt es nur noch als Brunnenfiguren und als Basler Wappentiere. So sind sie natürlich nicht gefährlich, und als Brunnenfiguren sehen sie sogar ausgesprochen hübsch aus.
Quelle: Schweizer Märchen, bearbeitet nach der Fassung von Trudi Gerster von Verena Jenny. Legende vom Basler Basilisken nach einer Baseler Chronik von 1624 https://www.basilisk-basel.ch/index-Dateien/Page487.htm. Chronik der Eidgenossenschaft im Basler Kirchenarchiv Cod.CI6, BL46 . Sie befindet sich in der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Basel (UBH Ki AR Msgr 107:3)
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.