Die seltsame Spinnerin

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf den Spinnstubeten an den langen Winterabenden, wo das Weibervolk mit Kunkel und Rädli, die Mannsleute mit ihren Tabakspfeifen sich einfanden, um zu plaudern und zu scherzen, kam allabendlich auch ein altes Mütterchen, das niemand zu bemerken schien. Stille setzte es sich mit seinem Rocken in die hinterste Ecke, wo es fleißig spann, bis die anderen spät in der Nacht sich auf den Heimweg machten. Nie sprach das Mütterlein ein Wort, mochte noch so viel erzählt, gelacht und gescherzt werden.

Unter den Mannsleuten war auch ein junger Bursche, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Während die anderen jungen Leute mit den Mädchen schäkerten, musste er immer wieder zu der alten Frau hinsehen, er wusste nicht warum. Das ging so drei Winter lang. Da war wieder einmal alles des Abends in der Stube beisammen, und wieder schaute der Bursche ganz versonnen der alten Spinnerin zu. Da ward er aufs Mal inne, dass sie das Spinnrad verkehrt drehte. Er rückte näher und näher zu, setzte sich neben sie, schaute ihr lange zu und sagte dann: «Immer links herum, Mutterli?» Da fuhr ein heller Strahl wie ein Sonnenblick über das verwitterte Gesicht der Alten. Sie stand auf und winkte dem Burschen heimlich mit der Hand, dass er sie begleite. Schweigend wanderten die beiden miteinander in die Nacht hinaus. Das Mutterli schritt bald vom Wege ab über Äcker und Wiesen bis an ein einsames Gehölz. Da blieb sie stehen und sprach: «Undenkliche Jahre hab ich gesponnen, stets links herum. Du bist der erste, der es endlich bemerkt hat zu meinem Heil. Ein reicher Lohn soll dir werden. Grabe Morgen hier an dieser Stelle. Was du findest, gehört dir.» Mit diesen Worten war sie verschwunden, wie ein Nebelstreif im Wind.

Am nächsten Morgen ging der Bursche mit Hacke und Schaufel an den Ort, grub auf und hob einen großen Hafen voller Gold- und Silbertaler aus der Erde. Der brachte ihm Glück und Segen. Er ist hoch betagt gestorben als der reichste Bauer des Dorfes, betrauert von den Armen der Gemeinde.

 

Quelle: Schweizer Märchen, Sagen und Fenggengeschichten, hrg. von Curt Englert-Faye, Zbinden Verlag

 

 

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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