Zu dem Ländlein, in dessen Hauptstadt der Pilger [= Name eines Schaffhauser Kalenders] daheim ist, gehört auch eine große, ehrenwerte Gemeinde, wo es viele Gypsbrüche hat. Dieselben gehen oft wie ein Bergwerk tief in die Erde hinein, und ist die Arbeit der Gypsbrecher bisweilen eine gefährliche. Also trieben zehn solcher Männer eines Tages einen Stollen in den Berg, und nicht weit davon geht auf einem Fußweg der Müller vorüber und hört die Leute drinnen arbeiten. Dem Müller arbeitet daheim das Wasser, ohne dass er sonderlich Hand anlegen muss, und diese Zunft Leute ist ohnehin ein wenig im Gerücht des Übermuts: Item, dem staubigen Bruder kommt der Gedanke, wie die Gypsarbeiter Hals über Kopf herausstürzen würden, wenn man einen Warnungsruf hineinschriee. Der Müller weiß wahrscheinlich nicht, von wannen dieser Gedanke kommt und freut sich schon über den Spaß und den Zorn der Mannen, wenn sie merken würden, es sei alles blinder Lärm gewesen. Er ruft also hinein: „Fliehet, fliehet!“ Die Arbeiter springen zur Öffnung, und kaum sind alle beim Ausgang, so stürzt hinten der Stollen zusammen. Der Müller aber stand da und konnte kein Wort sagen und musste recht darüber nachdenken, auf welch sonderbarem Wege er der Retter von zehn Menschenleben geworden sei. Es weiß eben Einer, was du vorher und nachher tust.
(Schleitheim)
Aus: R. Frauenfelder, Sagen und Legenden aus dem Kanton Schaffhausen, Schaffhausen 1933.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch