Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wohnte im Weiler Wartfluh bei Mund eine arme, aber sehr fromme Jungfrau. Sie hiess Anna Maria Albrecht. Einst sammelte diese gottesfürchtige Person in der Nähe der heutigen Kapelle Holz. Als sie zufällig einmal aus ihrer gebückten Stellung sich erhob und aufsah, erblickte sie vor sich auf einem Felsblock, etwa einen Steinwurf entfernt, eine wunderschöne Frau, ganz
von Strahlen umgeben. Zu ihren Füssen erblickte sie drei Nägel, wovon der mittlere senkrecht, die beiden andern schief dazu standen. Diese Nägel glänzten beinahe noch mehr als die strahlende Frau. Geblendet durch diese Erscheinung, wandte Anna Maria Albrecht den Blick eine Weile ab. Als sie wieder hinschaute, sah sie nichts mehr. Dieses Ereignis wurde in der Gegend bekannt: die einen glaubten an die Erscheinung, die andern spotteten und leugneten sie. Im folgenden Jahr errichtete aber ein Mann an dieser Stelle ein Bethäuschen und stellte ein Kreuz auf. Pilger aus allen Teilen des Oberwallis zogen zu diesem Muttergottesbild und berichteten von gnädiger Erhörung ihrer Anliegen. So wurde auch von einer Dienstmagd Maria Josepha Crettaz aus Brigerbad berichtet, sie sei von schweren Leiden befreit worden. Aus Dankbarkeit zur Mutter Gottes sammelte sie Geld und kaufte eine Muttergottesstatue, die ihren Platz in einem Bethäuschen fand. Aus Unvorsichtigkeit gerieten aber Statue und Bethäuschen später in Brand. Die Leute aus nah und fern kamen immer zahlreicher und drängten den Pfarrer, dort eine Wallfahrtskapelle zu bauen. Der Geistliche zögerte aber lange. Als er einmal jedoch in stockfinsterer Nacht von Lalden nach Mund stieg, hörte er unterhalb Gstein starke Hammerschläge, als wären Maurer am Werk und zerschlügen Steine. Er glaubte, es seien Diebe, die den Opferstock ausrauben wollten. Allein durfte er aber nicht hinein und wollte in Wartfluh Hilfe holen. Weil er aber mit seinen Helfern doch zu spät wieder im Gstein gewesen wäre besuchte er das Bethäuschen in der Felsenhöhle am folgenden Tage gemeinsam mit dem Opferstockverwalter. Wie waren sie erstaunt, alles in gewohnter Ordnung vorzufinden. Von den Hammerschlägen fanden sie keine Spur, und im Opferstock war eine ansehnliche Summe vorhanden. Von jetzt an setzte der Pfarrer dem Kapellenbau keinen Widerstand mehr entgegen und 1887 wurde die Wallfahrtskapelle eingeweiht.
MUND
Quelle: Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Josef Guntern, Olten 1963, © Erbengemeinschaft Josef Guntern.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch