An einem Sommerabend ritt ein vornehmer Herr durch einen Wald. Wo die Tannen am dichtesten waren, fand er eine Quelle, und er sprang vom Pferd, um Wasser zu trinken. Auf einmal sah er eine Schar grauer Katzen daherkommen. Die drängten sich hinzu, schubsten ihn auf einen kleinen Pfad und machten, dass er ihnen weit in den Wald hinein folgen musste. Sie gingen zusammen durchs Gebüsch, bis sie zu einem alten Schloss auf einem Hügel kamen. Die Katzen hiessen den Ritter ins Schloss gehen, und nachdem er sein Pferd an eine Marmorsäule gebunden hatte, ging er hinauf.
In einer wunderschönen Stube sah er eine schwarze und eine weisse Katze, beide auf Samtdecken. Aber bevor er mit den beiden, die den Ton anzugeben schienen, sprechen konnte, führten die Katzen ihn in ein anderes Zimmer. Hier stand ein gedeckter Tisch mit allen möglichen Speisen darauf. Er holte sich einen Stuhl und ass mit Appetit. Nachher führte ihn eine Katze in ein anderes Zimmer und gab ihm zu verstehen, er solle sich in das Seidenbett, welches schon für ihn bereit war, legen.
Müde und matt schläft er gleich ein und beginnt zu schnarchen. Gegen elf Uhr zupft die schwarze Katze am Bettzeug und sagt zu ihm: «Guter Ritter, ich bin ein mächtiger König, meine Tochter ist diese weisse Katze, und alle diese grauen Katzen sind meine Diener. Vor einem Jahr hat ein Zauberer uns fröhliche Menschen alle in eklige Katzen verwandelt. Ihr könntet uns befreien, wenn Ihr wagtet, auf den Berg dort zu gehen, wo man drei goldene Kreuze sieht, und eine Wurzel neben dem mittleren Kreuz auszugraben. Mit dieser Wurzel müsstet Ihr jeden von uns berühren, und dann würden alle wiederum das, was sie vorher waren. Meine Tochter gäbe ich Euch zur Frau, und Ihr wäret mein Nachfolger!» Mutig springt der Ritter aus dem Bett, nimmt sein Schwert, verlässt das Schloss und steigt hinauf zum Berg mit den drei goldenen Kreuzen. Aber hier blitzt, donnert una nagelt es wie am Jüngsten Tag, und allerlei Geister fliegen vor und hinter ihm her. Endlich hat er bis zu den Kreuzen gelangen können, und dann zieht er die geweihte Wurzel heraus, während der Hügel schier zusammenkracht.
Die Katzen warteten vor dem Tor, und als er sie berührte, da wurde es hell wie mitten am Tag. Der Ritter sah im Saal den alten König und seine Tochter und die Soldaten drum herum. Er feierte mit der Prinzessin fröhlich Hochzeit, und es gab die ganze Zeit Unterhaltung und zu essen.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch