Über dem Kiental ragt ein Horn aus Felsgestein. Schnyders Horn heissen’s die Älpler. Ehedem war dasselbe nur schlechthin Horn genannt. Es lebte aber ein loser Bursch im Tal, ein Tunichtgut; wollt' nicht schaffen, wollt’ nur herumstreifen, dem Gemswild nach. Zuerst ward ihm auch im Berg das Glück nicht hold. Da machte er einen Pakt mit dem Teufel. Von dem Tage an wurde er der berühmteste Gemsjäger weit und breit - ein gefürchteter Mann im Gebirge. In den Bändern um Schnyders Horn weideten von Alters her die schönsten Gemsen. Dorthin trug der Teufel den Jäger jeden Morgen vom Alpstafel. "Schiess mir alle Gemsen", sprach der Teufel, "nur die weisse nicht, denn sie ist mein Liebling." Der Jäger tötete nach Herzenslust, badet Hände und Füsse in Gemsenblut weil dies Halt und Schritt sicher macht. Auch trinkt er vom Blute der armen Gemordeten und je mehr er trinkt, desto blutgieriger wird er. Eines Morgens jagt er wieder in den Bockpfäden. Da steht plötzlich die weisse Gemse vor ihm. "Du bist mein", spricht Schnyder, "ich fürcht auch den Teufel nicht." Das geängstete Tierlein macht kehrum und läuft in den Bockspfäden davon. Hurtig der Jäger hintendrein. Wie er aber jetzt anlegt und der Gemse eine Kugel nachsendet, tritt der Teufel vor ihn und schlägt ihn über die Felswand, dass er tief unten im Gestein zerschellt. Nach Jahr und Tag erst hat man an einer Felszacke sein Gewehr hängen gefunden.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.