Vor langen, langen Zeiten lebte einst auf den Clariden-Alpen ein Senn mit einer „leichtfertigen Dirne“, welche er in so hohen Ehren hielt, dass er ihr von der Wohn- oder Sennhütte den kotigen und sonst schmutzigen Weg bis zum Käsgaden mit Käse belegte, damit sie ihre Schuhe und Füße nicht besudele. Da kam eines Tages seine arme Mutter, um ihren „hungrigen Bauch mit Milch und Suffy zu füllen."
Der gottlose Sohn aber mischte ihr unter die Milchspeise „Pferdeharn", dass die alte Frau das schlimme Traktament gar bald verspürte und sich hierüber im gerechten Zorn so sehr entrüstete, dass sie ihrem verschwenderischen und verruchten Sohn alles Unglück über den Hals wünschte und Gott bat, an ihm seine gerechte Rachehand zu zeigen, was auch alsbald geschah, indem die Erde ihren Mund auftat und den Sohn als eine unnütze Erdenlast samt seiner Dirne verschlang.
Mit der Erfüllung dieses Mutterfluches stürzten aber zugleich die obern Firnen und Felsen ein und überschütteten die vorher grasreichen und fetten Alpen mit Steingerölle, so dass sie von dieser Zeit an graslos und unfruchtbar blieben.
Von dem auf solche schreckliche Art untergegangenen Bösewicht erzählen sich aber die Bewohner jener Gegend, dass er sich noch jetzt merken lasse, wenn man ihn rufe oder herausfordere. Ja, ein ehrwürdiger Priester, der nicht ohnweit von den Clariden-Alpen sesshaft ist, will sogar selbst sich einmal in seinen jungen Jahren an den Ort verfügt und kühnerweise den mit Leib und Seele verschlungenen Sennen herausgefordert haben. Hierauf sei aber die Erde in eine solche Erschütterung geraten, dass hoch herab von den Felsen Steine mit großem Geräusch gestürzt wären, worüber er so erschrocken, dass er schleunig die Flucht ergriffen und Gott gedanket, als er mit dem Leben davongekommen.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.