Nördlich von Unterseen ist das Habkerntal. Aus seinem Hintergrunde, von der Lombachalp fliesst der Lombach, der oft noch durch Überschwemmungen furchtbar wird. Ein geheimnisvolles Männchen, heisst es, komme jedes Mal vor dem Anlaufen des Wassers im Runse (Flussbett) daher geschritten und schlage rechts und links mit langem Stock an das Ufer, wo es vom Schwall fortgerissen wird. Bei St. Niklausen, wo der Bach aus der Talschlucht kommt, hat vor Alters eine Kapelle gestanden. Im Hintergrunde des Tales aber, wo der Pfad nach dem schrecklichen verwilderten Hohgant ansteigt, auf der Grenze des Kanton Luzern, liegt eine Alp mit Namen Allgäu. in welcher ein durch Menschenhand aufgeworfener Erdwall von beträchtlichem Umfang für den Überrest einer Stadt gehalten wird. Eine Streifschaar Entlibucher überfiel einst auf dieser Alp die Herden und die Sennen der Oberländer, und ermordete sie grausamlich; die Küher wurden in siedender Molke erstickt. Da entsprang ein rüstiger Hirtenjunge mit einem hölzernen Milchtrichter, einer Volle in der Hand. Der stellte sich hin auf eine Höhe des Habkerentales, und schrie durch die Volle wie durch ein Sprachrohr hinaus gegen den Talboden von Unterseen, dass über der Gewalt des Rufens ihm der Leib barst. Drunten vernahm's zuerst seine Geliebte, die lief und bot das Landvolk auf zum Kampfe, bis eine Menge Bewaffneter emporzog und die Entlibucher schlug bei der Wehri, wo in neuerer Zeit noch Gefässe von Schwertern sind ausgegraben worden.
Quelle: Theodor Vernaleken, Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung www.maerchenstiftung.ch