Das Dorfkalb vom Auenstein  

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Der Pfarrer von Auenstein kam eines Abends mit seiner Frau vom Dorfe Rupperswil her heimgegangen. - Als er die Aare in der Fähre passiert hatte und den Kirchenrain zum Wohnhause hinanstieg, erblickte er in dem Kohlfelde, das zu seinem Pfarrgarten gehörte, ein weisses Kalb, das sich da das Kraut nicht übel schmecken liess. Das Hündchen, das ihn begleitete, sprang bellend in den Acker hinein, der Pfarrer in geringer Entfernung hinterher.

In noch grösseren Sätzen aber nahm das Kalb Reissaus, schwenkte um die Ecke der Scheune, die untern dem Pfarrhause steht, und war hier mit einem Male spurlos verschwunden.

Früh am folgenden Morgen ging der Pfarrer auf sein Feld hinaus, sah die Kohlblätter abgefressen umherliegen, fand seine eigene, sowie des Hündleins Fährte von gestern wieder, wunderbarerweise aber nicht die geringste vom entsprungenen Kalbe. Als er sein Befremden darüber einigen Leuten seiner Gemeinde äusserte, wollten diese einem solchen Gespräche ausweichen und mit ihrer Meinung keineswegs herausrücken; erst auf dringendere Fragen beichteten sie mit Scheu und nur auf Verschwiegenheit hin: dies, was er gesehen, sei das Dorfkalb gewesen; wem es sich zeige, dem stosse über kurz oder lang etwas Ungerades zu. Und richtig, bald darauf warf der Pfarrer mit seinem Fuhrwerk um, stürzte mit dem Kopf gegen einen Stein und starb an den Folgen dieses Unfalls.

 

Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Band 3.1, Leipzig 1962

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

 

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