Das Erbsensäcklein 

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Oberhalb von Emmenmatt, wo die Emme in die Ilfis fliesst, stand vorzeiten dicht am steinigen Ufer ein kleines, rauchgeschwärztes Häuschen. Ein armer Korbmacher bewohnte es mit seiner Frau und einer Schar Kinder. Das Hüttchen war aber nicht sein Eigentum, sondern gehörte einem reichen Bauern aus der Gegend. Trotz ihrer Armut sah es im Hüttchen immer heimelig aus, und man hörte manches Lachen und Singen. Mancher wunderte sich, dass der Korbmacher sich ohne Hilfe von der Gemeinde so redlich durchbrachte, und es ging daher das Gerücht, dass die hilfreichen Erdmännlein bei ihm ein- und ausgingen. Doch wenn man darüber Genaueres wissen wollte, pflegte der fleissige Mann nur mit einem Lächeln zu antworten. 

Einmal zog ein schweres Gewitter vom Hohgant her über die Berge des oberen Emmentals. Die Flüsse schwollen in kurzer Zeit so stark an, dass Brücken und Stege von den reissenden Fluten wie Schwefelhölzer fortgetragen und das Land auf weite Strecken überschwemmt und viele Fuss hoch mit Schutt und Steinen zugedeckt wurde. Auch dem Häuschen, worin der Körber wohnte, drohte Gefahr. Die Wellen schlugen schon an die schwachen Mauern des Häuschens und drohten, es jeden Augenblick mit sich fort zu reissen. Der Korber beschloss sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen. Nur mit knapper Not, kamen sie mit dem Leben davon.  Doch der Korbmacher beschloss, noch einmal zurückzukehren, um, wenn möglich, zu retten, was zu retten war. Da sah er auf dem niederen Dach seines Hüttchens ein winziges Männlein. Das schrie in Todesangst um Hilfe und breitete seine kleinen Arme nach ihm aus. 

Ohne sich lange zu besinnen, watete der arme Korbflechter, mit den anstürmenden Wellen kämpfend, durch das Wasser seinem Hüttchen zu, schwang das Männlein auf seine Schultern und brachte es auf sicheren Boden. 

«Du hast mir das Leben gerettet», sprach das Männlein, zum Korber gewendet, «und ich möchte mich bei dir bedanken. Nimm hier diese Erbsen und koche dir und deiner Familie davon ein Mus davon. Aber gib acht, dass stets wenigstens zwei davon übrigbleiben!» Mit diesen Worten gab das Männlein dem erstaunten Korber ein kleines Säckchen voller Erbsen in die Hand und verschwand. 

Der Korber, der traurig zu seinem Häuschen hinüberschaute, hätte das sonderbare Geschenk des Männleins fast weggeworfen.  Doch schliesslich steckte er es ein und kehrte zu seiner Familie zurück, die in eine Nachbarsfamilie aufgenommen hatte. 

In der Nacht floss das Wasser langsam wieder ab. So konnte der Korbflechter am Morgen mit seiner Familie wieder in sein Häuschen einziehen. Kaum war der grösste Schutt aus der Wohnung geräumt, kochten sie einen Topf voll Erbsen. Das Mus schmeckte so wunderbar, dass sie am liebsten jeden Tag davon essen wollten. Und tatsächlich: Am nächsten Morgen war das Säckchen wieder voll und so ging das alle Tage. Das Erbsenmus hielt den Korbmacher seine Frau und die Kinder gesund und bald schon konnten sie mit ihren schönen Körben etwas Erspartes beiseitelegen und mussten nicht mehr Not leiden. 

Das Geheimnis vom Erbsensäcklein wurde von den Kindern auf die Kindeskinder weitergegeben, bis einmal ein unachtsames Mädchen, als es das Mus kochen sollte, alle Erbsen auf einmal zum Kochen verwendete. Von da an blieb das Säckchen leer.

 

Aus: H. Herzog, Schweizer Sagen, Für Jung und Alt, Erste Sammlung, Aarau 1871,  sprachlich bearbeitet D. Jaenike

Bericht in Märchenforum Nr. 85

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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