In Sörenberg, an der Quelle der Waldemme, die wie viele andere Flüsse des Emmentals Goldsand führt, erschien Jahr für Jahr ein Goldmacher aus Venedig. Die waren ja früher überall, wo es Gold zu gewinnen gab. Ganze Fuder goldhaltigen Gesteins, das nur der Kenner zu entdecken vermochte, soll er allemal mit sich über die Berge geführt haben. Beim Suchen war ihm meistens ein Sörenberger Geissbube behilflich, der Wege und Stege des Tales kannte. Auf ihren Streifzügen übernachteten beide gewöhnlich auf einem Heustock. Einst lud der Venediger seinen Gehilfen ein, mit ihm nach Venedig zu kommen. Der Knabe lehnte ab, versprach ihm aber, er werde ihn einst besuchen und eine ganze Ladung selbstgesuchter Goldsteine nach Venedig bringen. Der Goldmacher zweifelte, ob ihm eine solche Reise gelingen werde, nahm aber den Vorschlag dankend an und kehrte über die Alpen nach Italien zurück. Im Umgang mit dem Fremden hatte der Hirtenknabe auf alles wohl geachtet, und er war wirklich imstande, echte Goldsteine von unechten zu unterscheiden. Aber das Ausscheiden des edlen Metalles blieb ihm ein Geheimnis. Mit einer schönen Ladung machte er sich eines Tages auf den Weg, kam bis Venedig und dort in das Quartier der Goldmacher. Als unberufener Zeuge der geheimen Kunst wäre er aber da unfehlbar ums Leben gekommen, hätte nicht sein überraschter Freund sich seiner angenommen und ihn in sein Haus geführt. Er machte ihm klar, dass es für ihn ratsam sei, wenn er Venedig sobald wie möglich wieder verlasse und heimkehre. Am Abend bewirtete er ihn wie einen vornehmen Gast und beschenkte ihn so reichlich, dass er fortan ein wohlhabender Mann war. Auch zeigte er ihm seinen Palast. Was den Hirtenbuben weitaus am meisten fesselte, das war ein Glas, das der Goldherr Bergspiegel nannte. Als er hineinguckte, traute er seinen Augen kaum. Er sah, wie seine Leute daheim im selben Augenblick gerade beim Nachtessen sassen. Als es Zeit war, sich zur Ruhe zu begeben, führte der Venediger seinen Gast in einen Raum mit einem prunkvollen Bett. Als er sich niederlegen wollte, durfte er die Kleider nicht ausziehen. Der Goldherr befahl ihm, seine Reisetasche, worin die Geschenke sorgfältig verpackt waren, umzuhängen und den Reisestecken im Arm zu behalten. So schlief das Bürschlein ruhig ein und erwachte nicht im Palaste seines Freundes in Venedig, nein, sondern auf dem Heustock daheim in Sörenberg. Der Goldmacher hatte ihn mit geheimer Kunst während der Nacht in die Heimat gezaubert.
Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.