Meine Grossmutter erinnerte sich noch, dass die jetzige Kirche in Silenen erbaut worden. Dabei arbeiteten viele Tiroler. Die hend aber scho Stickli g'lieferet! Myner Tag des Läbes! Unter den Tirolern waren auch zwei leibliche Brüder. Einst fiel das Baugerüste zusammen, und einer der zwei Brüder fiel zu Tode, während der andere zufällig abwesend war. Man begrub den Toten in seinem besten Gewand, namentlich zog man ihm ein köstliches Hemd an. Als einige Tage später der Bruder zurückkam, reuten ihn die guten Kleider, und er beschloss, sie sich wieder anzueignen. Da schloss er mit dem Teufel einen Bund, und der versprach ihm zu helfen, wenn er nachts zwischen 11 und 12 Uhr das Grab öffne, den Toten ausziehe, ihm seine eigenen Kleider anlege und das Grab wieder schliesse. Worin aber die Hilfe bestand, weiss ich nicht. Der Tiroler machte sich zur bestimmten Stunde an die Arbeit; alles war vollbracht, nur das Grab noch nicht ganz gedeckt, als es 12 Uhr zu schlagen anfing. Da raffte er die geraubten Kleider schnell zusammen und lief wie besessen über den Friedhof. Hinter ihm her rasselte auch schon der Böse mit den Ketten; aber der Tiroler sprang mit einem Satz über die Mauer, und da hatte der Böse keine Gewalt mehr.
So (1915) erzählt von einer 85 jährigen Frau von Amsteg. Die Kirche von Silenen wurde gebaut 1754–1756.
Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.