Hartmanns Holz
Vor vielen hundert Jahren gehörte das Dorf Wila an der Töss zur Kirchengenossenschaft Turbenthal. Damals hausten auf dem Schloss Breitenlandenberg zwei Brüder, von denen der ältere ein wilder, roher Geselle, der andere ein frommer, mildtätiger Herr war. Als der jüngere das rohe und unsittliche Treiben des älteren nicht mehr ertragen konnte, warnte er ihn mit ernsten Worten, verliess das Schloss und zog nach dem Schlösschen Wila, um dort in der Stille zu leben und den Untertanen Gutes zu tun. Oben auf dem Hügel, an dessen Fuss die stattliche Wohnung stand, legte er ein hübsches Gärtchen an und liess es mit einer Mauer umziehen.
Der ältere Bruder, der noch ferner auf der Stammburg hauste, hatte die wohlgemeinte Warnung des jüngeren sehr übel aufgenommen, er zürnte auf den kecken und vorwitzigen Knaben, wie er ihn nannte, und suchte ihn auf jede Weise zu ärgern und zu verletzen. Als dieser immer gleich ruhig blieb und dadurch die Meinung der Standesgenossen für sich gewann, erfasste den älteren ein heftiger Hass, und er schwur mit grässlichen Worten blutige Rache.
Ob er nun seinen Entschluss ausgeführt, hat man niemals erfahren. Die treuen Wilemer aber fanden eines Tages ihren guten Grundherrn von einem Pfeil und mehreren Stichen durchbohrt in der Mitte eines dichten, entlegenen Gehölzes. Sie schrieben die Tat dem älteren Herrn von Breitenlandenberg zu. Dieser unternahm denn auch niemals ernstliche Schritte, den Mörder zu ermitteln. Den Verstorbenen aber begruben sie trauernd in seinem Gärtchen auf dem Hügel. Den Ort, wo sie den Toten gefunden hatten, nannten sie fortan „Hartmanns Holz“.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Wörtlich nach Herzog I, S 223; Gchr Wila 1917
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.