Im Jahre 1696, Anfangs August, begegnete dem Barth. Alegro von Ponte (Veltlin), welcher auf einer Weide der Gemeinde Stuls bei Bergün, im Gebirge das Vieh hütete, ein seltsames Abenteuer.
Er erblickte nämlich hoch oben am Gipfel des Berges in einer Höhle ein grosses, zusammengerolltes Tier. Dasselbe ruhte, und gewahrte anfänglich ihn nicht. Wiewohl das Tier ganz feuerrot strahlend glänzte, und den Hirten blendete, war Derselbe doch neugierig, zu wissen, was das für ein Ungeheuer sei, das diese Höhle bewohne, und er trat behutsam näher. Nunmehr hatte das Tier auch ihn erblickt, und richtete sich empor. Der Hirte wusste nun, dass er einen gewaltigen Drachen vor sich habe. Der war zwei Klafter lang, hatte einen gedrungenen Kopf, der einem Katzen-Kopfe glich, mit granat-funkelnden Augen, einem weissen Streifen um den Hals, Schuppen an den Füssen, wie ein Fisch, und mit Anhängseln versehen die Zunge war wie die einer Schlange, und auch der Schwanz war doppelt. Durch diesen Anblick erschreckt, suchte der Hirte sein Heil in der Flucht, aber das Ungeheuer verfolgte ihn mit der Schnelligkeit eines Pfeiles.
Der Flüchtling fand Schutz hinter einem Steinblocke, um welchen herum der Drache nicht schnell sich bewegen konnte. So rannte das Untier immer vergebens dem Hirten nach, um den Stein herum, bis es endlich, vor Zorn, mit grosser Gewalt gegen den Stein anrannte, um Denselben zu stürzen. Dies hatte zur Folge, dass der Drache am harten Stein den Kopf so beschädigte, dass er vor Schmerz am Boden sich wand, und in der Betäubung nicht mehr vermochte, den Hirten für den Augenblick weiter zu verfolgen. Der hülflose Zustand des Drachen gab dem Hirten Zeit, seine Flinte zu laden, und auf den Feind zu schiessen. Die Kugel traf den Drachen aber nicht mit dem Erfolge, dass Derselbe kampfunfähig wurde. - Vielmehr hatte die Verwundung den betäubten Drachen wieder belebt, und die Bestie in solche Wut gebracht, dass Diese wieder wie ein Pfeil hin und herschoss, zu Seiten des Steinblockes, um den Hirten zu ereilen; dann zum andern Male heftig gegen den Stein anrannte, und wiederum zu Boden fiel. Da der Hirte im Laufen um den Stein herum die Munition verschüttet hatte, nützte auch das Gewehr ihn nichts mehr. Er nahm daher Steine vom Boden auf, und tötete mit Diesen den Drachen. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass der Drache tot sei, wollte er Denselben den Berg hinunter schleppen, aber er war zu schwach dazu. Er musste ihn liegen lassen. Am dritten Tage nach diesem Ereignisse stieg er mit einigen Kameraden hinauf, wo der tote Drache lag, Denselben zu holen, aber da war dessen Körper mit unzähligen Fliegen bedeckt. -
Andere Hirten behaupteten, solche Drachen öfters gesehen zu haben, welche von einem Felskopfe nach dem Andern in schlängelnder Bewegung die Luft durchsegelten.
Von einem andern Drachen in erwähnter Gegend erzählt Augustin Salis in Bergün um die Mitte des 16. Jahrh.
Dieser Drache war ein Wurm von entsetzlicher Grösse, und lag auf einem steilen Hügel, an der Sonne. Durch eine Flintenkugel erlegt, rutschte er von dem Hügel herab. - Aber seine Ausdünstung war so widerlich und giftig, dass dem, welcher ihn tötete, durch den pestilenzartigen Hauch das Augenlicht geraubt wurde, und des Mannes Körper so stark anschwoll, dass viele Monate lang sein Leben auf dem Spiele stand. -
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.