Am Vorabend von Maria Verkündigung hält die Stadt Luzern eine feierliche Prozession, der Musegg-Umgang, auch Romfahrt genannt. Zu dieser Romfahrt pilgerten im Jahre 1766 aus Obwalden gegen 50 Personen. Auf der Rückreise bestiegen sie in Winkel ein grosses Schiff und fuhren unter starkem Wind und mächtigem Wellenschlag weiter. Zwischen Hergiswil und Geissgaden brach einem Schiffer das ruderhaltende Weidegeflecht; er stürzte, das Gleichgewicht verlierend in's Wasser und ertrank. Auf dem Schiffe herrschte grosser Schrecken; die Leute drängten sich auf die Seite, wo der Schiffer hinausgefallen war und das Schiff neigte sich, kippte um und 48 Personen fanden im See den jähen Tod. Zwei Schiffer, ein alter Mann von Sarnen und eine alte Jungfer aus der Schwändi blieben einzig am Leben.
Dieses Unglück erregte begreiflicherweise ungeheures Aufsehen und heute noch werden hierüber einige denkwürdige Sagen erzählt.
Unter der Linde in Sarnen lebte damals ein Kaspar Ettlin. Dieser sah zwei junge Frauen vor seinem Hause mit Reissack und Regenschirm die Strasse hinabgehen, um sich an die Romfahrt zu begeben. Das Unglück ahnend rief er ihnen vom Fenster hinab zu: „Ja geht nur nach Luzern, ihr jungen, schönen Frauen! Bis ihr wieder kommt, wird man euch in der Kapelle bei der Brücke läuten."
Und es geschah so; die beiden Frauen ertranken und man läutete ihnen und andern Leichen dort.
An dieser Romfahrt beteiligten sich auch zwei Schwestern des Pannerherrn von Flüe von Sachseln. Auf der Reise von Luzern nach Winkel war es einer dieser Schwestern, als ob sie jemand an der Schürze und am Rocke fasse und nach rückwärts ziehe. Sie ahnte ein Unglück, weigerte sich das Schiff zu betreten, bewog auch ihre Schwester das betretene Schiff zu verlassen. So wurden beide gerettet. Später wurden sie Klosterfrauen (eine sogar Äbtissin zu Kalchrain im Kanton Thurgau).
Auch eine Magd des Gerber Anton Wirz in Sarnen war bei dieser Romfahrt. In dem Augenblicke, da das Unglück geschah, ging ein kleines Mädchen dieses Hauses zur Stubentüre hinaus, kam aber sogleich erschrocken zurück und sagte: „Unsere Magd ist draussen und das Wasser tropft von ihren Kleidern."
Ein Jüngling von Sarnen, der Giebel Felix genannt, hörte im Momente, da das Unglück sich ereignete, einen neben sich stehenden Knaben jählings heulen und ausrufen: „Ach meine Mutter ist tot! Ach, meine Mutter ist ertrunken!"
Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch