Der Klystermann

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ob Melchtal, wo sich eine kleine Kapelle und armselige Hütte befindet, ist die Alp Klyster, den Kilchern von Sachseln zugehörig. In dieser Einöde hat bekanntlich Bruder Klaus seinerzeit gelebt. Dort wandelt der Geist des Hans Rotzer, des Starken, bis zum jüngsten Tag. Hans Rotzer wäre ganz verloren gewesen, wenn er nicht den Platz, worauf die Wallfahrtskapelle steht, der Mutter Gottes geschenkt hätte.

Mehrere Sommer alpeten dort die Gebrüder v. Moos und besorgten den Kilchern das Vieh. Einer, der selbst droben gewesen ist, erzählt nun folgendes über den Klystermann:

„Fast jede Nacht, solange ich auf der Alp Klyster war, vernahm man in der Feuergrube der Hütte ein starkes Sprotzeln. Wollte man sehen, was es sei, so hörte das Geräusch plötzlich auf, und nirgends war ein menschliches Wesen zu erblicken. Oftmals kam der Geist über die Stiege hinauf, als ob einer mit Holzschuhen stark auftrete, dann wieder krachte eine Tür mit grossem Geräusch auf, fiel wieder zu und dann war alles still Der grosse Hund, den wir in der Taster hatten, fuhr wohl bei solcher Gelegenheit mürrisch empor, knurrte, sprang ivütend umher, und bellte. Aber weiter getraute er sich nicht. Sonst jedoch, wenn ein gewöhnlicher Mensch daher kam, flog er mit einem Satze hinaus durch das kleine Fenster, das ins Freie führte, um den Fremden anzugreifen. Nun aber verkroch er sich ängstlich unter das Bett, heulte durch zwei volle Stunden immerfort auf eine ganz eigentümliche Weise, wie er es nur tat, wenn er selbst in grosser Furcht war, und kein Zuruf konnte ihn alsdann beschwichtigen. Zuweilen sahen wir den Geist in seiner wirklichen Gestalt. Es war ein grosser aber hagerer Mann von eigentümlichem Aussehen. Er trug Holzschuhe, kurze Hosen und ein Hirthemd. Die Älpler, die ob des Geräusches jeweilen Furcht empfanden, liessen den Kaplan im Melchtal kommen, um den Geist zu bannen oder zu erlösen. Der Kaplan kam und fragte ihn, ob ihm geholfen werden könne; der Geist aber kehrte sich traurig um, schüttelte den Kopf und gab keine Antwort. (Das war übrigens für den Kaplan besser, denn, weil die Geister aus dem Atem der mit ihnen Redenden sprechen, so kürzen sie damit denselben das Leben ab.) Nun wusste der Kaplan, dass hier Hülfe unnütz sei, klopfte dem Klystermann mit seinem Spazierstöckchen auf die Schulter und sprach: „Leide du geduldig in Gottes Namen."

Von da an hatten die Sennen jegliche Furcht vor jenem Geist verloren. Er erschien öfter, half ihnen das Vieh besorgen und weinte jedesmal laut am Tage der Abfahrt. Mochte es nun auch des Nachts in der Feuergrube sprotzeln und klepfen, mochte es auf der Stiege poltern und rumoren, mochte sogar die Dasterntüre selbst aufgehen, man fürchtete und beachtete das alles nicht mehr. Ja, ein Senn rief sogar einmal dem Geist zu: „Wenn du zu kalt hast, so komme zu mir in's Bett!"

Einmal bemerkte ein Älpler, als die Türe urplötzlich etwas geräuschvoll geöffnet wurde: „Wenn du hier in die Daster musst, so magst du nur immer kommen, aber die Türe will ich nun einmal zu haben!"

Das nahm der Klystermann nicht übel auf, und die Türe blieb fortan geschlossen. Den Älplern leistete der Geist oft treffliche Dienste, indem er vor Schneefall oder schlechtem Wetter ein helles Jauchzen ertönen liess, wodurch er ihnen ankündete, dass sie sich darauf gefasst machen sollen.

Aus: Franz Niederberger Sagen und Gebräuche aus Unterwalden, Sarnen 1924. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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