In dem altertümlichen Schloss Liebegg, unweit Aarau, das ein Zweig der Bernerischen Familie von Diesbach bewohnt, und von dem sie den Beinahmen «von Liebegg» angenommen, treibt gar ein seltsamer Ahngeist sein Wesen, der jedes Unglück, vorzüglich aber jeden Todesfall, der die Familie angeht, voraus verkündigt. Oft hört man nachts im ganzen Schloss umher ein seltsames, gespenstisches Treiben, Stimmen flüstern in den gewölbten Gängen umher, leisen Trittes scheinen viele Menschen durch das ganze Schloss zu wandeln, Türen gehen auf und zu, und niemand kann ergründen, wer diese unsichtbaren Bewohner sind, die so plötzlich neben den lebenden Wesen auftauchen. Oft sogar stürzen sogar plötzlich ohne äussere Veranlassung alte Türme und unterirdische Gewölbe ein, wie z. B. 1817 ein grosser Teil des ganzen Schlosses fiel; aber immer folgt auf dies unheimliche Treiben ein plötzliches Unglück; hoffnungsvolle Sprösslinge des alten Geschlechts sterben weit entfernt in fremden Kriegsdiensten, oder versinken von blühendem Wohlstand in tiefe, drückende Armut. Immer warnen die ehemaligen Bewohner des ritterlichen Bergschlosses ihre Enkel durch ihr unsichtbares Treiben in ihrer Wohnung vor grossem bald erfolgendem Unglück.
Aus: R. M. Kully, H. Rindlisbacher, Die älteste Solothurner Sagensammlung, in: Jurablätter. Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde, 1987. Mit freundlicher Genehmigung von R.M.Kully. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch