In einer Sennhütte auf dem Schwyberg erschien den Hirten beim Käsen öfters ein winziges Weiblein. Ohne Scheu spazierte es über den Feuerbalken, an welchem das Chäskessi über dem Feuer hing. Dabei trieb es gerne seinen Mutwillen mit den Hirten und hielt sie oft zum Narren. Meist nahmen die Männer die Spässe und Neckereien des Zwergenfräuleins nicht bös auf. Aber einst trieb es die Fopperei mit einem hitzigen Welschen zu weit. Der Senn geriet in heftigen Zorn, packte ohne langes Besinnen das nebenan liegende Holzbeil und hieb dem Zwerglein die rechte Hand glatt ab. Schreiend und wehklagend verschwand die Verwundete. Am folgenden Tag stellte sich heraus, dass das Zwergenweiblein niemand anders als die Frau des Alpbesitzers war. Sie besass die Fähigkeit, mit geheimen Mitteln sich in eine andere Gestalt zu verwandeln. Jetzt lag sie schwer krank zu Bette. Die rechte Hand war mit Tüchern verbunden. Nur mit List gelang es dem Gatten, die Verwandlungskünste seiner Frau zu entdecken. Im Übermass ihrer Schmerzen gestand sie ihre Zauberkünste ein. Sie hatte diese von einer alten Hexe erlernt. Da kannte der Mann kein Erbarmen. Er zeigte die Sache beim Rat von Freiburg an. Dieser liess die entlarvte Zauberin gefangen nehmen und nach Freiburg führen vor die Richter. Nach der verderblichen Anschauung des Jahrhunderts wurde die Angeklagte der Hexenkunst für schuldig befunden und zum Tode verurteilt; die Todesstrafe auf Hexerei aber lautete auf lebendiges Verbrennen auf dem Scheiterhaufen. Dieses harte Los traf auch die verratene Sennerin.
Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.