Der Jauchzer-Botze

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Den Jauchzerbotzen will man in den Bergen von Naters oft gehört haben. Mitten in finsterer Nacht jauchzt dieser Geist — daher sein Name — nimmt es aber sehr bös auf, wenn ihm das Jauchzen beantwortet wird, wie es unter jungen Leuten in Bergen und auf Alpen Mode ist. Aus einer Alphütte heraus soll es einst ein Mann gewagt haben, dem Jauchzer entgegen zu jauchzen; gleich stellte sich der Geist ein, legte sich neben ihn auf's Nachtlager und drückte ihn tot.

Vom Jauchzerbotzen wird ferner erzählt: Ein gewisser Martin Lagger von Naters, der im Hegdorn wohnte, wo sein Haus noch steht, liebte die Jagd und verabredete eine solche mit einem Fieschertaler, der sein Gevattermann war. Die Jäger wollten an einem bestimmten Abend in Aletsch in der Bächalpe zusammenkommen und in einer alten Felshütte, in der noch der «Kessiturn» steht und jetzt «Laggers Balme» heisst, übernachten. — Wer die Gemsen und Murmeltiere mit Vorteil jagen will, muss in frühester Morgenstunde auf der Warte sein. — Laut Verabredung kamen sie zusammen und erwarteten noch einen dritten Jäger, der dem Fieschertaler versprochen hatte, von den Mörjerbergen über den Aletschgletscher herüber zu ihnen zu stossen. Dieser wollte aber nirgends zum Vorschein kommen.

Als die zwei Jäger nach langem Warten sich in finsterer Nacht eben zur Ruhe begeben wollten, hörten sie ein lautes Jauchzen in der Gegend der Furge, jenseits des Aletschgletschers. Der Fieschertaler meinte, es komme der erwartete dritte Jäger von Mörel herauf und wollte antworten, ihm kund zu geben, dass sie auf dem Posten wären. Martin Lagger aber sagte: «Mir will das helle Jauchzen nicht gefallen, bleibe ruhig!» — Und es jauchzte ein zweites Mal; der Fieschertaler wollte doch antworten, was Lagger wieder nicht zugeben wollte. Als aber das Jauchzen zum dritten Mal ertönte, jauchzte der Fieschertaler ohne weiteres auch und kaum hatte er vollendet, so jauchzte es, Mark und Bein durchdringend, eben vor dem Eingange ihrer offenen Nachthöhle. — Lagger zog seinen Gevattermann zu sich heran und der Geist sagte zum Jauchzer: « Wenn du nicht den bei dir hättest, den du da hast, so würde ich dich zu Staub und Asche zerblasen.»

Der Geist blieb die ganze Nacht bei den Jägern und offenbarte ihnen, dass er die verdammte Seele eines Vorstehers von Naters sei. Aus zwölf Ursachen sei er verdammt, die jede einzeln zu seiner Verdammung hingereicht hätte. Er zählte alle der Reihe nach auf. Als er elf Ursachen angegeben hatte, fügte er hinzu: «Und wenn das alles nicht wäre, so wäre er doch verdammt worden, weil er gewöhnlich Kühschafe (Heimschafe, die mit den Kühen auf die Weide getrieben werden) gehalten und mit solchen die Mitmenschen in den Gütern oft beschädigt habe», usw. Martin Lagger lebte von der Zeit an sehr niedergeschlagen, und sein Gevattermann, der Fieschertaler, starb noch im gleichen Jahre.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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