In der Bergkette, so die zwei Vispertäler voneinander scheidet, zwischen dem Balfrin und der Monte-Rosa, liegt das gewaltige Dreizackengebirge (14,040 F. ü. M.), das Hr. Berchtold in seinen trigonometrischen Messungen als höchsten Punkt der inneren Schweizerberge — "Dom" nannte, früher aber und in der Volkssprache noch jetzt Mischabel heisst. Als Berg dominiert dieses Gebirge freilich; ist aber doch schade, dass man seinen altherkömmlichen Namen so verpfuschen mag.
Woher der Name Mischabel komme, ist unbekannt. Einige wollen darin, weil das Gebirge drei regelmässig auseinander stehende Spitzen hat, das Wort "Mistgabel" finden, deren dreizackige Form sehr gut nachgebildet erscheint. Andere behaupten, Mischabel sei ein arabisches Wort, wie es deren in Saas noch andere gebe, und bedeute ganz etwas anderes als das angegebene Werkzeug des Feldbaues; es deute vielmehr auf die aussergewöhnliche Höhe dieses Gebirgsstockes, der selbst von der Stadt Mailand aus deutlich kann gesehen und erkannt werden.
In neuerer Zeit mühte man sich lange vergebens ab, die Spitzen der Mischabel zu ersteigen. Endlich gelang das Wagestück doch. Die Nordspitze wurde von Saas aus, die mitttel- und höchste Spitze aber aus Täsch herauf zuerst erstiegen. Es galt als grosse Ehre, der Erste gewesen zu sein, der seinen Fuss auf das stolze Haupt der Mischabel gesetzt hat.
Die Sage aber lässt diesen Ruhm nicht der neuern Zeit anheimfallen; die Mischabel ist schon längstens erstiegen worden. Es war nämlich ein Mann, — freilich aus alter Zeit, wo die Touristen noch keine Tagebücher führten, — der hatte es sich in den Kopf gesetzt, dieses hohe, unbesteigliche Gebirg zu erklimmen. Trotzig gegen alle Abmahnungen versah er sich mit dem allenfalls Nötigen und machte sich von Saas-Fee aus auf den gewagten Weg. Unter anderem nahm er eine Garbe (Schaub) leeren Strohes mit, um damit auf der Spitze der Mischabel ein Freudenfeuer anzünden zu können.
Am dritten Tage sah man deutlich auf der höchsten Spitze den Rauch und das Feuer als Zeichen des erreichten Zieles — aber der mutvolle Bergbesteiger kam nicht wieder zum Vorschein.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch