Vor vielen Jahren ereignete sich in Visp, dass einer Familie ein liebes, liebes, nur etwa zweijähriges Kind gestorben. Einige Tage nach dem selbes unter grossem Leidwesen der Mutter auf dem Kirchhof von Visp ist vergraben worden, sah man ein Händchen des verstorbenen Kindes aus dem Grabe emporragen. So oft man selbes in die Erde des Grabhügels zurückgeschoben, so oft streckte es bald darauf sein Händchen wieder hervor. Die Mutter, als sie solches vernommen, wurde sehr ängstig und traurig und zeigte, weil sie sich nicht zu raten wusste, diesen seltsamen Fall dem Hrn. Pfarrer an. Dieser fragte sie: «Hat das Kind sich nie etwa gegen euch versündigt, und ihr es dafür nicht bestraft?» «Ich wüsste mich gar nichts zu erinnern», gab die Mutter zur Antwort, «ausser, dass es mich einmal mit der Hand ins Gesicht geschlagen, was ich in Rücksicht seiner Kindheit durch die Finger sah und ungeahndet liess.» «O, so!» sagte der Pfarrer zur Mutter, «so geht hin, nehmt eine Rute und gebt der emporgestreckten toten Hand einige Streiche damit, und ich hoffe, wenn das Kind die verdiente Strafe erhalten, wird es im Grabe Ruhe finden.» Die Mutter tat, obwohl mit schwerem Herzen, wie es der Pfarrer angeraten, und von der Zeit erschien die Hand ihres Kindes, nicht mehr ausser dem Grabe.
Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch