Der Totentanz

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Folgende Sage habe ich einer früheren und einer späteren Mitteilung zu verdanken, welche nicht ganz gleichlauteten; ich suchte sie so gut wie möglich zu vereinigen.

Hoch oben im Natisserberge, ob Rischinen, ist noch ein isolierter Weiler, den man "auf der Eggen" nennt. Dort soll einem jungen Burschen, welcher in den Quatemberzeiten geboren und dort eben in diesen Tagen im Walde mit Holzhacken sich beschäftigte, nachstehendes Ereignis begegnet sein.

Als er bei einbrechender Nacht aus dem Walde von der Arbeit in das Örtchen zurückkehrte, um dort in seiner Wohnung zu übernachten, sah er in einem Hause gegenüber, alle Fenster beleuchtet und hörte lustige, aber altväterische Tänze aufspielen. «Was ist das?» sagte er zu sich selbst, «ist dem jungen Volk nicht der Teufel im Leib, dass sie in so später Zeit und noch dazu in den Quatembertagen hier verborgen tanzen? Ich glaubte mutterseelenallein auf der Eggen zu sein und treffe dort ein verborgenes Tanzvolk an! — Ich will mir zuerst etwas z' Nachtessen bereiten, — und dann nachsehen, wer dort sich lustig mache.» Nachdem er etwas z' Nacht gegessen, schlich er ganz verborgen bis an die Hauspforte, welche halb geöffnet war; ging, um nicht gehört zu werden, leise auf den Zehen hinein bis an die Stubentüre; auch diese war etwas geöffnet. Durch diese Öffnung sah er Lichter auf dem Tische und an der Ecke desselben den Geiger und noch andere Personen; aber Alle ganz altväterisch gekleidet. Auch die Tanzenden, welche er zum Teil herumkreisen sah, waren meistens in altväterischer Tracht; dabei vernahm er ein seltsames Klingeln wie von kleinen Eisschollen. Als er nun aufmerksamer die Tanzenden betrachtete, bemerkte er zu nicht wenigem Erstaunen, dass die Manns- und Weibsbilder wie kleine Eiskerzen und Eisschollen an den Kleidern hatten und auch die Finger an den Händen wie Eiskerzen aussahen. Im gleichen Augenblicke, wo er dies wahrnahm, sah er eine junge Weibsperson, die ihm wegen ihrer Kleidung ganz bekannt vorkam: «Mein Gott!», dachte er, — «die gleicht wie ein Wassertropfen dem andern meiner unlängst verstorbenen Liebsten, meiner unvergesslichen Tänzerin; was ist das für eine Gesellschaft!» — und eben wo er dies dachte, wandte sich dieselbe um und winkte ihm mit der Hand, dass er hereinkommen solle. Jetzt erkannte er sie vollkommen: «Es war — Emma — seine verstorbene Freundin!» — Eiskalt wurde ihm vor Schrecken, als wenn man einen Zuber voll kalten Wassers über ihn geschüttet, so fröstelte es ihn und er eilte, so schnell ihn die zitternden Beine trugen, nach seiner Wohnung, schloss dieselbe gut zu und begab sich eilends zu Bette. Obwohl er sich gut in das Bettgewand eingehüllt hatte, so schüttelte ihn doch ein starker Fieberfrost und an Schlaf war nicht zu denken. In diesem Zustande mochte er ungefähr bis Mitternacht zugebracht haben, — da ging die Hauspforte auf und es klopfte schon an der Stubentüre. Er versteckte sein Haupt unter die Decke, denn es war ihm nicht darum, "Herein" zu rufen. — Da ging auch die Türe schon auf und ungeachtet der Furcht, wagte er etwas unter der Decke herauszuschauen. Es war die Gestalt einer Weibsperson, so viel er in der Dunkelheit urteilen konnte. «Emma!» dachte er mit klopfendem Herzen und verbarg sich wieder in die Bettdecken Da hörte er das Eisklingeln wie im Tanzsaale, nur dass es sich seinem Bette näherte. Jetzt stieg seine Furcht aufs höchste; der Geist stieg auf sein Bett und legte sich sogar neben ihn. — Ein schwacher Angstschrei entstieg seiner Brust: «Jesus, Maria und Joseph! Wer bist du?» — Da war es ihm als wenn ein eiskalter Schatten sich über ihn beugte und seine Lippen berührte. Der Geist war jetzt angesprochen und er hatte, laut dem Volksglauben, das Recht, von seinem Atem zu schöpfen und mit ihm zu sprechen. Aber auch die Furcht vor den Toten soll bei den Lebenden nach der ersten Anrede ganz verschwinden. Von der langen Unterredung, welche bis Morgen zu Betenläuten mit dem Geiste gepflogen wurde, soll der junge Mann nur dies geoffenbaret haben: Das erste, was der Geist ihm sagte, sei die Frage gewesen: «Kennst du mich?» Und er habe geantwortet: «Ja — du bist Emma!» — «Ja, ich bin Emma, deine ehemalige Freundin, komme aus dem Aletsch, muss mit den andern an den Quatembern hier tanzen; womit man gesündigt, wird man gestraft. — Ach wie lange hätte ich dies tun müssen, wenn du mich nicht angeredet. — Aber jetzt hoffe ich für mich und die anderen Erlösung! Willst du?» – «Ja», erwiderte ich. — «Aber es wird dir schwer ankommen!» sagte sie. «Tut nichts, ich will alles tun!» antwortete ich. — Aber was sie ihm weitergesagt und was er ihr alles versprochen, davon liess er nie ein einziges Wörtchen verlauten. — Und von diesem Augenblicke war er ganz verändert; — er blieb ledig, und ein steter Freund der armen Seelen, als wenn er eine geistige Vermählung mit Emma eingegangen hätte. Emma war sein einziger Gedanke in seinem ganzen Leben. Beim Worte: «Emma» soll noch im letzten Augenblicke sein Angesicht sich erheitert haben, als wenn er sich einer edlen Tat erinnerte und dafür eine sichere, schöne Vergeltung zu erwarten hätte.

 

Quelle: M. Tscheinen, P. J. Ruppen, Walliser Sagen, gesammelt und herausgegeben von Sagenfreunden, Sitten 1872.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)