Ein Glarner Zusenn hatte auf einer Alp einen Stein gefunden, der nachts leuchtete. Hocherfreut trug er ihn zur Hütte, wickelte ihn siebenfach in Lumpen und Kästücher und versteckte ihn im schwärzesten Winkel der dunklen Milchkammer. An Micheli, wenn man mit dem Vieh wieder ins Tal zog, wollte er den Stein mitnehmen, um ihn in Glarus einem Goldschmied oder Liebhaber zu verkaufen.
Bald darauf erschien ein Venediger auf der Alp. Der trieb sich den ganzen Tag über in allerlei sonderbaren Geschäften an den Felsen herum. Abends betrat er die Hütte, setzte sich zu den Sennen und ass mit ihnen. Hernach legte er sich aufs Tril und schnarchte bis zu den ersten Munggenpfiffen, worauf er gleich wieder in die Felsen stieg. So ging es ein paar Tage fort. Die Sennen sahen ihn anfänglich nicht besonders gern, weil er überall herumschnüffelte, als wollte er die Alp samt der Hütte kaufen. Da der Fremde aber allerhand Kurzweil und Spässe wusste, liessen sie ihn nach und nach unbeobachtet, und oft sass er allein in der Hütte.
Eines Tages war der Venediger verschwunden. Niemand hatte ihn weggehen sehen, und keinem hatte er Adiö gesagt. Als der Zusenn wieder einmal seinen leuchtenden Stein beschauen wollte, fand er ihn nicht mehr. Bestimmt hatte ihn der Venediger mitlaufen lassen, denn vor solchen Leuten kann man gewiss noch so gut verhüllen und verstecken, es nützt alles nichts. Sie haben eben andere Augen als gewöhnliche Menschen.
Ein anderer Senne erzählte hierauf folgendes: «Ich hatte einmal einen Stein gefunden, der des Nachts weit leuchtete. Ich verbarg ihn in der Hütte und hoffte, bei einem Liebhaber Geld dafür zu erhalten. Einige Tage darauf übernachtete ein Venediger in unserer Hütte, der diesen Stein (obschon ich ihn in Lumpen eingewickelt und verborgen hatte) dennoch verspürt haben muss und ihn forttrug.»
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch