Am Hauptplatz im Alten Glarus stand zu Zeiten ein Wirtshaus, in dessen Gaststube man jederzeit Bauern, Viehhändler und Metzger antreffen konnte, denn der Wirt hielt viel auf einen guten Tropfen.
Eines Abends nun kommt ein reicher Viehhändler durch das Stegenhaus herauf, setzt sich breitenwegs an den Plattentisch und begehrt einen Schoppen. Das geht eine Weile, denn er will vom Bessern, und indes schaut sich der Gast in der Stube um, von einer Wand zur andern, und sieht hinter der Tür ein Dutzend oder mehr Sackmesser im schönsten Nussbaumtäfel stecken. Alle in Reih und Glied wie Soldaten und als wären sie in einer Wut in das Täfel gezwickt worden.
Der Viehhändler steht auf, denn solche Sachen sieht man nicht alle Tage. Er schaut sich die Messer eins ums andre an, und auf einmal erkennt er eins, das vor Zeiten einmal ihm selber gehört hat. «Jääsoo», denkt er, «jääsoo!» und es ist ihm nicht recht wohl dabei.
Indes kommt der Wirt mit dem Schoppen und fragt, wie ihm die Messer gefallen.
«Schöne Sackmesser, schöne Sackmesser!» sagt der Gast und verzieht keine Miene. «Eins wie das andere und doch keines gleich. Eine kurzweilige Sammlung habt ihr euch da angeschafft, Herr Wirt!»
Der Wirt stellt den Schoppen hart auf den Tisch und tritt einen Schritt näher an den Gast. Es scheint als ob er heiser geworden sei, und er fragt leise: «Welches von den Messern ist das eure?» und kommt noch einen Schritt näher.
Aber der Händler hütet sich und gibt ganz gelassen zurück: «Wie sollte denn mein Sackmesser nach Glarus kommen? Ich wüsst nicht wieso?» Dann setzen sie sich zum Schoppen, und der Wirt holt auf des Gastes Geheiss noch ein Glas für sich, und dann stossen sie miteinander an. Beim zweiten Glas aber erzählt der Wirt dem Viehhändler eine alte Geschichte:
«Ihr könnt von Glück reden, Mann, dass keins von dem Dutzend da Euch gehört! Sonst sässet Ihr jetzt nicht mehr auf dem Stuhl da vor mir!» Er zeigt auf die Kerze, die neben ihm auf dem Tisch brennt, und bläst sie in einem Zug aus.
«Genau so wär’s Euch ergangen und nicht anders. Ihr kommt aus dem Urnerischen, das hab ich gleich an der Sprache gemerkt. Und dort ist nämlich einmal das und das passiert. Vor Jahren ist mein ältester Sohn aus dem Italienischen heimgekommen, dort hat er die Medizinkunst und die Sympathie gelernt, und nun wollte er hier im Flecken mit dem Metier anfangen. Wie er nun durch das Urnerland herabgestiegen ist, da traf er auf ein paar Bauern, die am Heuen waren. Weil er aber ein Spassvogel war, so blies er ihnen einen Dreierwirbel ins Heu, so dass alles hoch in die Lüfte flog. Da sind die Bauern wie der Teufel hinter ihm her, und weil er der schnellere war, so haben sie ihm ihre Sackmesser nachgeworfen, und eins von ihnen hat ihn ins Herz getroffen. Man hat mir’s berichtet, und ich hab ihn geholt, jetzt liegt er schon längst auf dem Friedhof. Aber hernach bin ich ins Urnerische gefahren und hab drei Nächte lang bei Erstfeld alle Messer zusammengesucht, ein ganzes Dutzend. Jetzt wart ich, bis einer Kommt und sagt: "Das ist recht, dass ich mein Messer wieder finde", und er zieht es aus dem Täfel und steckt’s in den Sack. Der braucht am Morgen nicht mehr in den Spiegel zu schauen. Ja.»
«Soso!» Sagt der Gast nachdenklich, «jaja, so Sachen passieren in diesen Zeiten», und er schenkt dem Wirt das Glas voll ein. «Das kommt alles davon, dass die Menschen keinen Spass mehr verstehen.»
So trinken sie den Schoppen aus und noch einen und reden von erbaulichen Dingen. Als aber der Wirt fragt, ob der Herr Gast vielleicht bei ihm zu Nacht vorlieb nehmen möchte, da zieht der Viehhändler seinen Beutel und zahlt. Er schlafe bei einer steinalten Bäsi in Ennetbühls. Der Wirt begleitet ihn bis unter die Haustüre und wünscht ihm gute Nacht und ein andermal denn!
«Da bewahr mich Gott davor!» denkt der Gast und geht in die dunkle Nacht hinaus.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch