a) «Vil minder ist auff des Pöfels Rede zuo halten, das dieses Gewölb jrgent zuo einer verdampten Jungfrawn und einem Schatz, von etlichen grewlichen Hellhünden verhütet abführe, in welches sich etliche bey unserer Elteren Zeiten begeben, deren einer viel Gelt mit sich herauss gebracht, andere nachmalen kaum halb todt widerumb an das Tagliecht herfür gekrochen: Weil gewüss, das der Sathan, ein Herr der Finsternussen, die Menschen durch viellistige Verwehnung und Gespengnuss, sonderlich durch Begierd des zeitlichen Guots in forcht, angst, schrecken, den zeitlichen und ewigen Todt zuo stürtzen understeht.»
b) «Um das Jahr 1520 lebte in Basel einer namens Leonard, genannt Lienimann, eines Schneiders Sohn; er war blöde von Verstand und stotterte. Um die genannte Zeit nun gelang es ihm durch gewisse Künste wiederholt in jene unterirdische Höhle zu Augst hinabzusteigen, und er drang weiter vor, als je einer vor ihm.
Lienimann zündete eine geweihte Kerze an und stieg in den Gang hinunter. Hier nun – so pflegte er zu erzählen – gelangte er zuerst an eine eiserne Türe. Durch diese trat er in Kammern ein, von einer in die andere, bis sich vor ihm prächtige grüne Gärten eröffneten. In deren Mitte stand ein herrlich geschmückter Palast. Da erblickte er eine wunderbare Gestalt: ihr Oberkörper bis zur Scham war der einer schönen Jungfrau, mit goldenem Diadem auf dem Haupt, von dem flatterndes Haar herabhing, der Unterleib ging in eine gräuliche Schlange aus. Die Gestalt führte Lienimann an der Hand zu einer eisernen Kiste, auf der zwei schwarze Hunde sassen und mit schrecklichem Bellen die Nahenden wegscheuchten. Aber die Jungfrau bedrohte die Bestien und hielt sie zurück; sie nahm von dem Schlüsselbund, den sie am Hals trug, einen Schlüssel, öffnete damit die Kiste und holte alle möglichen Münzen daraus hervor, goldene, silberne und eherne. Lienimann behauptete von der freigebigen Jungfrau eine ganze Menge bekommen zu haben. Sie habe ihm erklärt, sie sei eigentlich eine Königstochter und einst durch gräuliche Zaubersprüche in diese Gestalt verwandelt worden; gerettet könne sie nur werden, wenn ein reiner und keuscher Jüngling sie dreimal küsse. Dann werde sie ihre ursprüngliche Gestalt wiedererhalten und der Erretter werde als Lohn alle hier verborgenen Schätze davontragen. Lienimann erklärte: zweimal habe er sie geküsst, da habe sie, aus Freude, erlöst zu werden, so schreckliche Gebärden gemacht, dass er fürchten musste, von ihr bei lebendigem Leibe in Stücke gerissen zu werden. Nachdem er aber von schlimmen Gesellen in ein Hurenhaus geschleppt worden, habe er den Eingang zum Gewölbe nie mehr finden können. Unter Tränen klagte der arme Kerl öfter über dieses Ende. Wer sieht nicht, dass das ein teuflisches Gespenst gewesen ist?»
c) «Von jenem einfältigen Lienimann und ebenso von jener Jungfrau und dem Schatz von Augst geht bei uns eine bekannte Fabel um, wie Rhenanus ... in seiner Germania unter Augusta Raurica berichtet. Einige der Unsern haben Bergknappen angeworben, um jenen Ort säubern zu lassen, was Du wohl schon durch Deinen Sohn erfahren hast ... (er spricht im Folgenden von den Ausgrabungen) ... Aber um auf die Jungfrau und den Schatz zurückzukommen: Irgendein Bauer hat zu Anfang dieser Ausgrabung behauptet, in nächster Nähe der Burg eine Frau mit entblössten Schenkeln unter einem Baum sitzen gesehen zu haben; darauf habe er ihre Gestalt ins Unermessliche wachsen sehen. Vielleicht wollte sie auch diesen zu Küssen anlocken, oder, da sie sah, wie ihr die unterirdischen Gänge der Knappen zu Leibe rückten, anderswohin verschwinden, besonders da ihr Wachhund gestorben war - ein eisernes Hundehalsband ist nämlich ausgegraben worden. Und dies letztere allerdings ist wahr, ebenso sieht jeder, dass das übrige…(unleserlich) und Altweibergeschwätz ist! Von Lienimann habe ich auch einigemal meinen Vater sagen hören, er habe Münzen zum Vorschein gebracht und hier und dort verkauft; es ist auch möglich, dass unter denen, die ich von meinem Vater geerbt habe, die eine oder andere hierzu gehört; doch wie er jene Münzen erworben hat, ist mir nicht bekannt: Denn was er selber berichtet hat und was im "Theatrum" berichtet wird, ist wirklich Lienimanns würdig. »
d) «Als die kaiserlichen Truppen 1814 im Fricktal lagen, hatten zwei Soldaten, die zu Magden im Quartier waren, von einem Tausendkünstler den Ort des Schatzes erfahren sowie die Art und Weise, wie dieser zu heben sei. An einer Freitags-Mitternacht begaben sie sich mit Osterkerzen und andern geweihten Schutzmitteln in das Gewölbe und streuten behutsam Spreuer hinter sich her, um den Rückweg sicher wieder zu finden. Eine Eisentüre öffnete sich auf ihr Anklopfen, und eine Jungfrau, die unten in einem Schlangenleib endigte, wies sie zu einer Truhe, von der zwei Hunde mit Feueraugen herab bellten. Der Deckel ging auf, und die beiden konnten Geld nehmen, soviel sie mochten. Schon waren sie wieder vor der Höhle, als der eine der Soldaten gewahrte, dass er drinnen sein Seitengewehr hatte liegen lassen. Trotz der Vorstellungen seines Kameraden ging er sogleich zurück, um es zu holen, und ist nie wieder zum Vorschein gekommen.»
e) «Einmal «hat der Aristorfer Bote dort im Vorbeigehen eine silberne Kette schimmern sehen und sie nachher in Basel um hohes Geld verkauft. Auf der andern Seite des Baches diente im Landgute Spitzmatt jüngst noch der sogenannte Talweber Marti, Wirklich sah er einst mit eigenen Augen jene oft besprochene weisse Jungfer, die dort Kisten Goldes hütet. Sie winkte ihm im Vorübergehen und wusch sich dabei im nahen Ergolzbache die Hände wund, bis Blut herausquoll; als er jedoch unerschrocken an sie trat, spie sie Feuer und Flammen. Aber auch der verstorbene Ratsherr von Giebenach konnte sie fast jedesmal erblicken, wenn er früh am Morgen nach Basel in den Grossen Rat fuhr.»
Augusta Raurica
Quelle: P. Suter/E. Strübin, Baselbieter Sagen. Quellen und Forschungen zur Geschichte und Landeskunde des Kantons Basel, Band 14. Liestal 1976
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.