Im Jahre 1799 soll es gewesen sein. Das Land hatte schwere Kriegszeiten hinter sich und befand sich in schrecklichem Elend. Die Franzosen hausten wie die Wilden, sie besetzten alle Dörfer und raubten das Vieh aus den Ställen. Selbst die Hütten der Viehhüter wurden ausgeplündert.
In den letzten Tagen des Herbstmonats nun hiess es plötzlich, von Schwyz her sei ein mächtiges russisches Heer gegen die Franzosen im Anmarsch. Ein Senn brachte den Glarner Hirten die Kunde, der berühmte General Suworow rücke heran.
Zu jener Zeit hauste auf einer einsamen Alp hinten am Klöntalersee ein junger Hirt namens Kaspar Glarner. Ein unbändig starker Bursche soll es gewesen sein. Wenn er auf seiner Alp gejodelt habe, so hätten alle Sennen und Hirten im Klöntal aufgehorcht. Als nun die Franzosen von Glarus her ins Klöntal rückten, um den Russen den Pragelpass zu versperren, stieg auch ein Trupp von ihnen hinauf zu des Glarners Alp. Der Senn, der seine Heimat über alles liebte, geriet darüber in hellen Zorn, ergriff ein langes Holzscheit und schlug die ersten, die ihm über den Weg kamen, nieder. Darauf entstand ein wildes Handgemenge. Der Senn focht wie ein Tiger, mit zwei Sätzen war er mitten im Kriegerhaufen, klatschend schlug sein Holzscheit auf die fremden Schädel nieder. Schon lagen ihrer sechs oder sieben fremde Soldaten in ihrem Blut. Da traf ein Säbelhieb den Sennen und schlug ihm einen Arm in Stücke. Seine Kraft begann matter zu werden, roter Schaum stand ihm vor dem Mund, Arme und Schultern waren zerstochen und blutüberströmt.
In diesem Augenblick aber raste ein schwarzes Ungeheuer daher, mitten in den Menschenknäuel. Schreiend fuhren die Franzosen auseinander. «Glärnisch –!» schrie der Senn in wildem Jubel. Wie ein Rächer stand der riesige schwarze Alpstier neben dem befreiten Hirten. Aber schon stürmten die Franzosen wieder vorwärts. Da stieg im Hirten ein furchtbarer Plan auf. Er rannte hinüber an die Wände des Wiggis, die andern in langen Sätzen hinter ihm her. Auf einem schmalen Grasband der Felswand erwartete er, hinter dem Gestein versteckt, die Verfolger. Als sie heranstürmten, warf er sich ihnen blitzschnell entgegen und riss mit der letzten Kraft, einen hallenden Jauchzer ausstossend ein paar der Feinde mit sich in den Abgrund. Durch die Felsgründe des Tales schlug ein Erdstoss; es war, als ob die Berge vor Zorn aufgrollten und den toten Jodler rächen wollten. Felsstücke donnerten nieder, krachend öffnete der See seinen Rachen, Hunderte von kämpfenden Russen und Franzosen in die schwarzen Wasserschlünde reissend.
Vom Sennen hat man nie mehr etwas gefunden. Immer aber, wenn ein grosses Unheil über das Land kommen will, geht sein Geist um. Alle zehn oder zwanzig Jahre soll man sein unheimliches Jodeln hören. Wer ihn in stiller Nacht hört, vergisst’s seiner Lebtag nicht mehr.
Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch