Auf dem schönen Schlosse zu Hüttwilen im Bezirk Steckborn hatte einst ein Schlossherr seinen Sitz. Obwohl mit Geld und Gütern überaus reich gesegnet, war dieser Junker doch sehr unglücklich. Während des Tages zeigte er sich nie vor den Leuten und erst nach dem Einnachten wanderte er finster und traurig im Freien umher und wich den Leuten aus. Auf dem Schlosse hielt er niemand als einen sehr alten Hausknecht, der alle Vollmachten besass. Das sonderliche Gebahren des Schlossherrn fiel allgemein auf und nur der Alte hätte über den Grund Auskunft geben können. In seiner Jugend besass der Junker noch einen Bruder, mit dem er sein Gut teilen musste. Da er es aber allein besitzen wollte, brachte er heimlich den Bruder um, ohne dass ausser dem Alten jemand etwas davon erfuhr. Doch seither plagte ihn das böse Gewissen wo er ging und stand. Lange Jahre litt er darunter, bis man ihn eines Morgens tot in der Kammer fand. Als Nachfolger zog ein entfernter Verwandter mit seiner Familie und einer grossen Dienerschaft ins Schloss, doch dauerte diese Freude nicht lange. Denn stets um Mitternacht begann im Keller ein Rumpeln und Poltern wie bei einem Erdbeben und durch die Schlossgänge schlich eine schaurige, weisse Totengestalt, die fürchterlich seufzte und jammerte. Eine Magd, welche die Gestalt einmal gesehen hat, starb vor Schreck. Dieses mitternächtliche Lärmen wurde immer schrecklicher, bis es den Schlossbewohnern schliesslich verleidete und sie das Haus verliessen. Seither stand das Schloss leer, niemand getraute sich mehr in seine Mauern. Zeit und Wetter liessen es schliesslich zerfallen und heute wachsen über den Grundmauern Gras und Sträucher.
Quelle: Ferdinand Bolt, Die Sagenwelt am Bodensee, Appenzeller Kalender 1956
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch