Es war einmal ein Bauersmann, der mitten in einem grossen Wald wohnte. Vor seinem Hause dehnte sich eine Wiese mit vielen Blumen aus, auf der das schönste Gras wuchs, das man nur irgendwie finden konnte. Diese Wiese schien ihm das wertvollste Besitztum, das er hatte.
Wie gross war daher sein Erstaunen, als er am Morgen eines strahlenden Sommertages gewahren musste, wie das feine Gras von Menschen zertreten worden war. „Wer mag das wohl gewesen sein?” fragte sich der Bauer. Am folgenden Tag stand er in aller Frühe vor seiner Haustür, und abermals lag das Gras geknickt und zertreten am Boden. Dies konnte nur über Nacht geschehen sein.
Voller Kummer und Zorn nahm er sich vor, herauszubringen, wer ihm den Schaden zugefügt habe. Er befahl deshalb seinem ältesten Sohn, nachtsüber zu wachen und zu spähen, wer da im Gras herumlaufe.
Der Sohn setzte sich also hinter ein Gesträuch am Waldrand; aber gegen Mitternacht fühlte er sich so müde, dass er in tiefen Schlaf fiel. Er schlief wie eine Haselmaus und erwachte erst, als die Sonne schon die Berge vergoldete. Er rieb sich die Augen und sah, dass die Wiese wieder zertreten war, wie das erste Mal. Beschämt und ärgerlich kehrte er nach Hause zurück und konnte dem Vater keinen Aufschluss geben.
In der folgenden Nacht übertrug der Bauer seinem zweitältesten Sohn die Bewachung der Wiese. Dieser versicherte, er werde gewiss herausbringen, wer der Übeltäter sei. Dann sagte er seinen Eltern gute Nacht und versteckte sich in einem Gebüsch. Er nickte aber auch bald ein und schlummerte wie ein Siebenschläfer, so dass er am Morgen ohne Erfolg heimkehrte.
Als der jüngste Sohn, Vittorino, das hörte, anerbot er sich, in der dritten Nacht zu wachen. „Dies ist verlorene Liebesmühe,” entgegnete ihm der Vater, „Du bist noch zu jung, um eine ganze Nacht im Freien draussen Wache zu stehen. Und übrigens wirst du auch schwerlich mehr Glück haben als deine Brüder.“ Aber der Jüngling bat so lange, bis der Vater es ihm erlaubte, und als es dunkel war, schlüpfte er zur Tür hinaus auf die Waldwiese.
Dort wachte er die lange Nacht; es ereignete sich jedoch nichts. Schon fing er an, ungeduldig zu werden, blieb aber gleichwohl auf seinem Posten.
Endlich stieg die Morgenröte über die Berge, und da sah er im unbestimmten Dämmerlicht drei schneeweisse Tauben herab fliegen. Dann bemerkte er, wie sie nach einer kurzen Ruhepause ihr Federkleid ins Gras legten und sich alsdann in drei schöne Mädchen verwandelten, die auf der Waldwiese einen wunderlieblichen Tanz begannen, so duftig und zart, wie Elfen, deren Füsse und Flügel kaum den Blumenteppich berühren.
Eines der Mädchen war von so aussergewöhnlicher Schönheit, dass Vittorino ihrem Liebreiz nicht widerstehen konnte und sich in sie verliebte. Nachdem er eine hübsche Weile dem zierlichen Reigen zugeschaut hatte, lief er hin, nahm ihnen heimlich das feine Federkleid weg und versteckte es hinter einer Hecke wilder Rosen.
Schon war indessen die Sonne höher gestiegen und vergoldete mit ihren Strahlen die Baumwipfel des Waldrandes. Sie gab damit den schönen Mädchen zu erkennen, dass es Zeit sei, den Tanz abzubrechen. Darauf liefen sie auseinander, ihre Mäntel zu holen, fanden sie aber nicht. Sie suchten hier, sie suchten dort und entdeckten schliesslich den Jüngling im Rosengebüsch. Gleich vermuteten sie - und mit Recht - dass er sie ihnen weggenommen habe. Sie näherten sich ihm auf die artigste Weise und baten ihn freundlich, ihnen das Federkleid wieder zu geben.
„Ich will es euch bringen,” erwiderte der Jüngling, „aber nur unter zwei Bedingungen. Vor allem müsst ihr mir als erstes sagen, wer ihr seid und woher ihr kommt.”
„So höre”, nahm jetzt die Schönste von ihnen das Wort, „ich bin die einzige Tochter eines mächtigen Königs, und dies hier sind meine Kammerzofen und Ehrendamen. Wir kommen vom Sonnenschloss, das noch nie ein Mensch betreten hat und wohin niemand gelangen kann.”
„Meine zweite Bedingung,” fuhr jetzt der Jüngling fort, „ist, dass mir die Königstochter ihre Liebe schenke und ewige Treue gelobe, und dass sie selbst den Tag unserer Hochzeit bestimme.”
Als die drei Mädchen sahen, wie die Sonne immer höher stieg und es heller und heller wurde, sahen sie sich genötigt, auch dieser zweiten Bitte zu willfahren.
Darauf schwuren sich die beiden Verlobten ewige Liebe, bestimmtem den Tag ihrer Hochzeit und versprachen sich gegenseitig, einander nicht zu verlassen. Nun gab ihnen Vittorino ihr Federkleid zurück, die Jungfrauen verwandelten sich wieder in Tauben und flogen über die Waldwiese davon.
Kaum war Vittorino ins Haus zurückgekehrt, so bestürmten ihn der Vater und die Brüder mit Fragen. Er sprach jedoch wenig und gab vor, er sei in tiefen Schlaf versunken und habe nichts beobachtet. Jetzt lachten ihn die Brüder aus, dass er es habe besser machen wollen als sie beide, die doch älter seien als er.
Endlich kam der langersehnte Tag, wo die Hochzeit stattfinden sollte. Vittorino ging zum Vater und bat ihn, ein grosses Festmahl zu veranstalten und alle Verwandten und Freunde dazu einzuladen. Und so geschah es. Es wurden die feinsten Speisen und die besten Weine aufgetragen, und als bei fröhlichem Gläserklang die Festlichkeit begann, hörte man plötzlich den Lärm einer Kutsche, die in den Hof einfuhr, gezogen von vier prächtigen Pferden. Daraus heraus stieg die schöne Königstochter, in ein wundervolles Brautkleid gehüllt und begleitet von ihren beiden Hofdamen. Als nun die Gäste die Wahrheit jener zauberhaften Nacht erfuhren, beglückwünschten sie den Jüngling zu seiner trefflichen Wahl und konnten die schöne Braut nicht genug bewundern. So wurde die Hochzeit mit viel Freude gefeiert.
Bevor aber die Morgendämmerung über die Waldwiese emporstieg, erklärte die Braut, sie müsse abreisen und wieder in ihr Schloss zurückkehren. Sie würde von Orco, einem Ungeheuer, überwacht, das von ihrer heimlichen Vermählung nichts erfahren dürfe, sonst würde es sie umbringen, gleich wo sie sich aufhalte. Der junge Bräutigam mochte sie - so leid es ihm tat - nicht am Fortgehen hindern: Er spornte sie vielmehr zur Eile an, damit ihr kein Unheil widerfahre. Mit Tränen in den Augen nahmen sie Abschied. Als sie sich zum letzten Mal umarmten, überreichte ihm die Braut einen kostbaren Ring zum Andenken. Dann bestieg sie mit ihren Ehrendamen die vergoldete Karosse, und fort rollte der Wagen, wie der Wind so schnell.
Seit jenem Tag hatte Vittorino keine Ruhe mehr. Er wünschte nichts anderes, als in das Sonnenschloss zu gelangen. Daher trat er eines Tages vor seinen Vater mit der Bitte, fortgehen zu dürfen. Dieser wollte ihm nicht vor dem Glück sein und gab ihm seinen Segen. Also machte sich der junge Mann auf den Weg und fragte überall, wohin er kam, wo sich das Sonnenschloss befände; aber niemand konnte ihm die Richtung weisen.
So gelangte er eines Tages in einen Wald und hörte dort zwei mächtige Stimmen erschallen, deren Echo an den Bergwänden und in den Schluchten der Wildbäche widerhallte. Vorsichtig schritt er weiter und erblickte zwei Riesen, die miteinander zankten. Er fasste sich Mut, trat hinzu und fragte sie freundlich: „Ei, warum streitet ihr miteinander?” Da antwortete einer von ihnen: „Unser Vater ist vor kurzem gestorben und da teilten ich und mein Bruder die Habe. Es bleibt uns jetzt nur noch ein paar Schuhe, ein Mantel und ein Degen zu teilen. Und nun möchte jeder von uns diese Dinge für sich behalten.”
„Nun denn,” erwiderte Vittorino, „wenn ihr euch nicht einigen könnt, so will ich euch einen Vorschlag machen. Und wenn ihr meinem Rate folgt, so versichere ich euch, dass ihr nachher euren Frieden habt und einander wie gute Brüder liebt.” Als die beiden Riesen den Vorschlag vernahmen, baten sie ihn, er solle sich deutlicher ausdrücken. „Nun also, meine Freunde, ich bin ein armer Pilger und muss weit wandern, durch Königreiche ziehen, über hohe Berge steigen und viele Gefahren bestehen. Wenn ihr mir euren Mantel, eure Schuhe und euren Degen gebt, so werden sie mir treffliche Dienste leisten, und ihr braucht euch darüber nicht mehr zu streiten.”
Den beiden Riesen gefiel dieser Vorschlag, und sie übergaben ihm die drei gewünschten Dinge zum Geschenk. „Nun musst du aber noch wissen, junger Mann, bevor du weiterziehest, welche Vorzüge die drei Geschenke besitzen. Wenn du diese Schuhe anziehst, so wirst du bei jedem Schritt hundert Meilen weit kommen. Dieser Mantel da wird dich bei deinen Feinden unsichtbar machen. Berührst du ferner jemand mit der Spitze dieses Schwertes, so wird er tot niedersinken; berührst du hingegen einem Toten die Stirne mit dem Griff des Degens, so wird er vom Tode wieder auferstehen.”
Vittorino zog alsbald die Meilenstiefel an, umhüllte sich mit dem Mantel, gürtete das Schwert um, dankte den Riesen und nahm Abschied. Er war voller Glück und wanderte durch unbekannte Länder und Städte, über Ebenen, Flüsse und Gebirge.
Eines Abends gelangte er in einen dichten Wald. Ermüdet von der Reise, wollte er sich niederlegen. Da sah er zwischen den Bäumen in der Ferne ein Licht. Also nahm er seine letzten Kräfte zusammen, wanderte dem Licht entgegen und gelangte vor eine armselige Hütte. Ein uraltes Mütterchen sass auf der Türschwelle. Vittorino nahm höflich den Hut ab, grüsste die Frau mit freundlichen Worten und bat sie, ihm über Nacht Herberge zu geben, denn er könne nicht weiter. Sie hiess ihn eintreten, und ehe er sich zur Ruhe legte, fragte er sie, ob sie wisse, wo das Sonnenschloss zu finden sei. „Morgen früh”, antwortete die Alte, „will ich meine Untergebenen zusammenrufen und sie fragen, wo dieses Schloss sich befindet. Und nun, gute Nacht, hübscher Jüngling!”
Sobald die Sonne über den Bergen aufstieg rief die Alte alle Tiere des Waldes herbei, denn das waren ihre Untergebenen. Bald darauf versammelten sich vor ihrer Hütte Bären, Wölfe, Füchse, Hirsche, Tiger und alle möglichen Tiere und lagerten friedlich zu Füssen ihrer Herrin. Die Alte fragte, wo sich das Sonnenschloss befinde. Die Tiere hielten Rat, aber keines wusste Auskunft zu geben. „Wie du siehst,” sprach die Alte, „ist es mir unmöglich, dir den Weg zu zeigen. Doch ich habe eine Schwester, die hunderttausend Meilen von hier wohnt. Sie regiert über die Fische und ist die Königin der Bewohner von Flüssen, Seen und Meeren. Es ist leicht möglich, dass sie etwas davon weiss.”
Vittorino war zwar enttäuscht über diesen Bescheid; doch liess er sich nicht entmutigen, dankte ihr und wanderte weiter. Endlich gelangte er am Abend ans Meeresufer. Dort sah er am Strand eine baufällige Hütte, und auf der Türschwelle fand er eine Frau, die vom hohen Alter noch mehr gebückt war als die erste. Er grüsste sie ehrfurchtsvoll, erzählte ihr den Grund seiner Reise und bat sie, über Nacht bleiben zu dürfen, was sie auch gewährte.
Als der Morgen anbrach, setzte sie sich an die Wellen des Meeres und rief ihre tausend und abertausend Untertanen herbei, welche sie fragte, wo sich das Sonnenschloss befinde. Da kamen die Bewohner des Meeres herbeigeschwommen, die Walfische und Delphine, die Salmen und Hechte und viele, viele andere und hielten Rat. Nach langem Fragen kamen sie überein, dass noch keiner von einem Schloss dieses Namens gehört habe. Der Alten tat es leid, dem Jüngling nicht besseren Bescheid geben zu können, doch fügte sie bei: „Viele Meilen weit entfernt von hier wohnt meine älteste Schwester. Sie ist Königin über alle Vögel und kann dir vielleicht eine bessere Auskunft geben. Wenn sie es dann nicht weiss, so wird alles weitere Fragen nutzlos sein. Leb wohl!”
Vittorino sagte ihr schönen Dank und wanderte viele hundert Meilen weit. Dann verbrachte er die Nacht in einer dunklen Grotte des Gebirges und sah von dort aus am andern Morgen, wie auf der Höhe eines nahen Bergrückens eine zerfallende Hütte sich erhob. Nahe dabei stand eine alte Frau, die sich an der Sonne wärmte. Er stieg zu ihr hinauf, grüsste sie freundlich und küsste ihre runzlige Hand. Wer weiss, wie viele Menschenalter sie schon in jener Bergeinsamkeit verbracht hatte!
„Wer bist du?” fragte die über hundert Jahre alte Frau mit langsamer und feierlicher Stimme. „Wisse, dass ich hier auf diesen Bergen noch nie das Angesicht eines Menschen gesehen habe. Du bist der erste. Sei also willkommen und sage mir, was dich hierher führt.”
„Seit langer Zeit”, gab Vittorino zur Antwort, „wanderte ich durch Länder und Städte und suche das schöne Sonnenschloss, wo noch niemand hingelangt sein soll.”
„Da kannst du dich trösten mein Lieber, ich weis dir auch nicht Bescheid, welcher Weg dorthin führt. Aber die Vögel, über die ich regiere, werden dir sicher den Weg zeigen können.”
Und damit rief sie mit einer Hirtenpfeife alle Vögel herbei. Da kamen Adler, Geier, Falken, Störche, Tauben und blaugrüne Papageien herbeigeflogen und lagerten sich zu Füssen ihrer Herrscherin.
„Ich habe euch gerufen,” sprach sie, „um zu erfahren, ob einer von euch den Weg zum Sonnenschloss kennt.”
Die Vögel hielten Rat, erklärten aber nach langem hin und her, dass ihnen jenes Schloss unbekannt sei.
„Aber, seid ihr denn alle hier?” fragte sie mit ungeduldiger Stimme, „wo ist denn der Phönix?”
Nach langem Warten, siehe da, kam aus weiter Ferne noch ein Vogel herbeigeflogen und senkte sich mühsam zur Erde, so sehr war er erschöpft von seiner Reise. Es war der Phönix. Die Greisin fragte ihn mit strenger Miene, warum er so lange habe auf sich warten lassen.
„Seid nicht böse, liebe Herrin,” erwiderte der Vogel, „und entschuldigt mich, ich konnte nicht schneller hier sein, denn, stellt euch vor, ich komme geradewegs vom Sonnenschloss.”
„Nun gut,” erwiderte die Königin, „so musst du jetzt gleich zur Strafe nochmals dorthin zurückfliegen und diesem Jüngling hier den Weg zeigen!” Der Phönix war nicht gerade erfreut über diesen Befehl; aber es blieb ihm nichts anderes übrig als zu gehorchen.
Vittorino nahm mit vielen Dankesworten Abschied von der alten Frau, setzte sich auf den Rücken des grossen Vogels, und dieser schwang sich in die Lüfte. Sie flogen durch die Wolken empor und sahen bald unter sich die Berge, Täler und Meere verschwinden. Nachdem sie lange durch den Himmelsraum geflogen waren, gelangten sie endlich zum Sonnenschloss. Der Vogel setzte seinen Reiter sorgfältig auf die Stufen des prächtigen Palastes, und Vittorino dankte ihm tausendmal.
Schon war die Nacht hereingebrochen, als er an die Pforte klopfte. Da erschien eine der beiden Kammerzofen, die auf der Waldwiese getanzt hatten und, erschreckt vom Anblick des Jünglings, flüchtete sie wieder ins Schloss zurück. Hierauf klopfte er aufs Neue, und diesmal öffnete die andere. Überrascht von der Ankunft des jungen Mannes eilte diese zu ihrer Herrin zurück, um ihr die Neuigkeit zu überbringen. Es dauerte nicht lange, so erschien seine holde Braut, begleitet von ihren zwei Ehrendamen. Vittorino überreichte seiner Geliebten den Ring als Erkennungszeichen. Darauf liess sie sofort das Portal des Sonnenschlosses aufmachen, eilte ihrem Bräutigam entgegen, umarmte und küsste ihn in inniger Freude und liess ihn eintreten. Vittorino erzählte ihr die ganze Nacht, was für unzählige Hindernisse und Abenteuer er auf seiner Suche nach dem Sonnenschloss erlebt hatte.
Nun aber hatte die schöne Braut immer Angst vor dem Orco, der ihren Vater und ihre Brüder heimlich umgebracht hatte, um sie zur Frau zu bekommen, und der sie darum Tag und Nacht bewachte. Am andern Morgen kam er wirklich zum Schloss gegangen, schien etwas bemerkt zu haben und sprach: „Nur sachte und immer langsam voran, dass ich den Junker fassen kann!” Darauf wollte er in den grossen Saal des Schlosses hinaufsteigen, um der Königstochter seine Ratschläge zu erteilen. Vittorino aber hatte ihn kommen sehen. Flugs hüllte er sich in seinen Mantel, stellte sich an die Saaltüre, und in dem Augenblicke, wo der Orco über die Schwelle trat, versetzte ihm der Jüngling mit seinem Zauberschwert einen Stich, dass der Unhold tot zu Boden sank. Jetzt war das Brautpaar von seinem grössten Feind befreit. Die beiden umarmten und beglückwünschten sich, und der junge Mann empfing alle Ehren eines Ritters.
Die schöne Prinzessin aber fühlte sich noch nicht ganz glücklich. Sie musste immer an ihren lieben Vater und ihre Brüder denken, welche sich an ihrem Glück nun so gerne mitgefreut hätten, vor kurzem aber das Opfer des schändlichen Orco geworden waren. Der Bräutigam liess sich von ihr die Gruft zeigen, wo man die lieben Toten kürzlich bestattet hatte. Dort hob Vittorino den Deckel des Sarges ab, berührte mit dem Griff seines Schwertes die Verstorbenen, und plötzlich erwachten diese wieder zu neuem Leben. Darauf wurde der Jüngling zum König gekrönt und nochmals Hochzeitsfest gehalten. Vittorino liebte über alles seine schöne junge Frau. Er regierte mit Weisheit und Milde und vergass auch seine Eltern und Brüder nicht, die er reich beschenkte. So verbrachte er im Sonnenschloss mit seiner holden Frau ein langes und glückliches Leben.
Quelle: Tessiner Sagen und Volksmärchen, Walter Keller, Edition Olms 2000
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.