Ein Bursche stand einmal unter dem Fenster einer Mühle und blickte zum Himmel hinauf. Die Müllerin öffnete das Fenster und fragte, wohin er schaue. Der Bub sagte, er müsse dorthin gucken, woher er gekommen sei, damit er auch wieder hinaufkönne. Da fragte die Müllerin: «Woher kommst du denn?» Der Bub antwortete: «Ich komme gerade vom Himmel.» Da sagte die Müllerin: «Oh, dann kannst du vielleicht auch sagen, was unser Gionet macht?» Der Bub antwortete: «Aber sicher, der ist gesund und lässt Euch grüssen, und er hat gesagt, Ihr sollt mir die Hennen in einem Korb und etwas Fleisch mitgeben.»
Die Müllerin ging sofort die Hennen holen, steckte sie in einen Korb und legte ein schönes Stück Fleisch dazu. Dann sagte sie noch: «Er hat bestimmt auch Geld nötig.» Der Bub entgegnete: «Davon hat er gar nichts gesagt, doch ich weiss, dass er es sehr gern hat, wenn Ihr welches gebt.» Da gab die Müllerin noch das Geld, das sie hatte.
Der Bub nahm den Korb mit den Hennen, das Fleisch und das Geld und ging weg. Er lief ein Stück bis hinter einen Hügel, versteckte da den Korb und ging zurück zu einer Alten, die neben der Strasse Heuhaufen machte. Er sagte zu ihr, er wolle ihr einen halben Gulden zahlen, wenn sie in einem Heuhaufen eine halbe Stunde lang den Kopfstand mache. Der Alten war dies recht, sie stellte sich im Heu auf den Kopf, und der Bub musste sie aufrecht halten.
Als der Müller nach Hause kam, fragte die Frau, ob er wisse, wer heute da gewesen sei. Ganz neugierig sagte der Müller: «Also, erzähle!» Die Frau erzählte: «Es ist ein Bub vom Himmel oben da gewesen, und der hat berichtet, unser Gionet sei gesund und lasse uns grüssen, und wir sollten die Hennen und ein wenig Fleisch mitgeben, und dazu habe ich noch unser Geld draufgelegt.» Da tobte der Müller fürchterlich und schrie: «Du dumme Kuh, der hat dich nur angeschmiert! So ein Quatsch! Die Leute im Himmel dürfen nicht wieder raus, und dort oben braucht man bestimmt keine Hühner und solches Zeug!»
Er nahm sogleich sein Ross und trabte so schnell er konnte davon, um den Buben einholen zu können. Da sah er einen Buben, der neben einem Heuhaufen stand, und er fragte ihn: «Hast du nicht einen Buben mit einem Korb vorbeigehen sehen?» Der Bub sagte: «Doch, vor kurzem ist einer hier mit einem Korb vorbei, da waren Hühner drin. Doch wenn ihr diesen Bienenschwarm hier halten wollt, will ich ihm nachrennen und ihn schnappen, denn ich weiss genau, wohin der ist.
Überliess es dem Buben, und dann musste er die Alte stützen, die er für einen Bienenschwarm hielt.
Der Bub machte sich so schnell als möglich aus dem Staub, er holte den Korb aus dem Versteck hervor und ritt mit dem Ross auf und davon.
Der Müller musste den Bienenschwarm lange halten. Mit der Zeit verleidete es der Alten auch, und sie sagte: «Ist die halbe Stunde noch nicht um?» Da schaute der Müller genauer hin, was für ein Bienenschwarm das sei, und dann merkte er, dass er noch ärger angeschmiert worden war als seine Frau.
Aus: Die drei Winde, Rätoromanische Märchen aus der Surselva, Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler, Desertina Verlag, Chur 2002. © Ursula Brunold-Bigler.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.