Der Muggi

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In einer Alphütte des Schwarzseetales kehrte jeden Abend ein seltsamer Gast ein. Wenn die Hirten nach dem Nachtessen sich an die Herdgrube setzten, um beim traulichen Feuerschein noch eine Stunde zu plaudern, dann ging die Türe auf, und ein alter, buckeliger Mann mit langem Bart kam herein. Ohne zu grüssen, ohne ein Wort zu reden, ergriff er ein „Trohli“, stellte dasselbe ans Feuer und setzte sich darauf. Hier hockte er stumm den ganzen Abend, hielt die Hände über dem struppigen, grauen Bart gefaltet und blickte unbeweglich in die Glut. Stellten die Hirten ihm eine Frage, so gab er keine Antwort. Erzählten sie lustige Geschichten, - er lachte nie. Er tat, als sehe und höre er nichts. Sagten sie aber einander Gutnacht, dann stand er auf und ging ohne Gruss hinaus.

Die Hirten konnten nie erfahren, wer das Puggelimannli sei und woher es komme. Alles Spionieren nützte nichts. Anfänglich fürchteten sie sich vor dem unheimlichen Gast. Mit der Zeit aber gewöhnten sie sich an seine Anwesenheit, sein Kommen und Gehen. Sie liessen ihn frei gewähren und achteten zuletzt nicht einmal mehr auf ihn.

So vergingen mehrere Jahre. Eines Sommers stellte der Meister einen übermütigen Burschen als Hüterbub an. Der vertrug sich schlecht mit dem Buckeligen. Er neckte und plagte ihn alle Abende und suchte ihn zum Reden zu bringen. Doch alle Mühe blieb vergebens. Da nannte er ihn nur mehr den „Muggi“. Eines Tages, als die Hirten draussen arbeiteten, wurden sie von einem heftigen Regen überrascht. Sie flüchteten eiligst in die Hütte. Nun sassen alle um das Feuer, trockneten ihre Kleider, stopften ihre Pfeifen und plauderten. Da meinte der Bub: „Es ist doch viel gemütlicher, wenn der wunderlige Muggi nicht bei uns ist. Ich schlage ihm sein Trohli entzwei, dann weiss er heute Abend nicht, wo er sich hinsetzen soll und wird wieder gehen.“ Die andern wehrten ab.

„Ach, lass doch dem Armen sein Plätzchen am wärmenden Feuer.“ Aber der Bub hatte schon die Axt ergriffen, und ein wuchtiger Hieb sauste auf das Trohli. In zwei Stücken flog es krachend auseinander. Ein feines Klingen ertönte, und - ein Häuflein Goldstücke lag am Boden. Staunend betrachteten die Hirten den kostbaren Schatz und glaubten, ein Wunder sei geschehen. Aber das Wunder fand bald eine ganz einfache Erklärung. Das Trohli war nämlich von Menschenhand gehöhlt, mit Gold gefüllt und sorgfältig wieder zugemacht worden.

Am selben Abend blieb der Muggi aus und zeigte sich auch später nie mehr. Das Rätsel seiner Herkunft löste sich. Das Puggelimannli war niemand anders als der büssende Geist eines geizigen Hirten, der einst auf dieser Alp gehaust und sein Geld im Trohli versteckt hatte, damit es nicht in die Hände der Menschen falle. Mit der Auffindung des Schatzes hatte er Erlösung gefunden und war ein Kind der Seligkeit geworden.

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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