Ein Herr von Strättlingen am Thunersee befand sich einst am Hof des Herzogs von Burgund. Da geriet dieser Fürst in einen sorglichen Krieg gegen den König von Frankreich. Als nun beide Herrn stark widereinander zu Felde lagen und in offener Schlacht sich umsonst hart zugesetzt und beide viel Volk verloren hatten, kamen sie überein, dass zwei Mann, je einer aus einem Heereszuge, den Kampf sollten miteinander bestehen, und welcher dann im Streite obsiege, dessen Teil solle gewonnen haben. Da waren die von Frankreich froh, denn sie hatten einen Mann, der sich rühmte, die Stärke zweier Männer zu besitzen. Derselbe Ritter trat gleich hervor und begehrte mit einem Feinde sich zu messen. Allein der Herzog von Burgund konnte unter all seinen Rittern keinen finden, der dem Gegner gewachsen wäre, ausser seinem Gastfreunde, dem Herrn von Strättlingen, der auch mit in den Krieg gezogen war. Den bat der Herzog gar sehr, sich des Kampfes anzunehmen, um den Sieg für Burgund zu gewinnen. Der von Strättlingen aber sprach: "Es steht mir nicht wohl an, den Zweikampf zu bestehen, da so viele tapfere Ritter aus Burgund zugegen sind, die würden’s dem Fremden übel deuten." Darauf erwiderte der Herzog: "Sei deshalb ohne Sorge, mein Lieber, wohl zähle ich der tapferen Ritter viele, aber keinen, der dich überträfe; daher bitte ich dich nochmals, den Streit zu wagen." Da konnte der von Strättlingen nicht länger widerstehen und sagte dem Herzoge zu. Nun liess er sich in den Ring führen da er kämpfen sollte, setzte sich auf einen Stuhl, und wartete also seines Widersachers. Indem dieser verzog zu kommen, schlief der von Strättlingen ein und begann im Schlafe zu schnarchen. Da erschien sein Gegner und als er sah, wie sein Widerpart auf einem Stuhle sass und so fest schlief, da erschrak er und sprach: "Fürchtet er mich so wenig, dass er so ruhig schläft, so wage ich es nicht, mit ihm zu kämpfen", und niemand konnte ihn in den Ring bringen. Also gewann der von Strättlingen für Burgund den Sieg im Schlafe.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.