Vor vielen Jahren lebte zu Iseltwald ein leidenschaftlicher Gemsjäger namens Peter Abegglen. Einst strich er spät im Herbst auf den Höhen der Tschingelfeldalp den Gemsen nach. Da das Glück ihm am ersten Tage nicht günstig war blieb er oben, kehrte am späten Abend auf Tschingelfeldboden in die verlassene Sennhütte ein, verzehrte sein Abendbrot und stieg hinauf in die "Gasteren", sein Nachtlager aufzusuchen. Ehe er einschlief, hörte er aus weiter Ferne herkommend das Geläute einer Herde, welche sich der Hütte zu nähern schien. Vor ihrer Ankunft sprang er hinab, holte seine Büchse von der Bank und legte sie neben sich. Kaum war er zurückgekehrt, so trieben fremde Hirten die Kühe schon in den Stall. Aus ihrem Gespräche merkte er bald, dass es Vater und Sohn war. Sie machten sogleich Feuer und legten das Sennereigeschirr in der Hütte zurecht, molken nachher die Kühe und fingen an zu käsen. Als die Molke gekocht war, sprach der Sohn: "Vater, wir sollten dem Jäger droben auch Milch geben." Darauf antwortete der Vater: "So rufe ihn." Alsbald stieg der Sohn hinauf und sprach: "Jäger, komme und labe dich mit frischer Milch." Ohne ein Wort zu sagen, begab sich der Jäger mit schwerem Herzen in die Hütte hinunter und setzte sich hinten auf die Turnerbank, wo ihm der Sohn stumm einen "Gohn" voll Milch und einen Löffel überreichte. Als der Jäger die Milch geniessen wollte, stiess jener ein Messer neben des Weidmanns linker Seite in die Wand; der Stich verursachte diesem einen so heftigen Schmerz in dieser Seite, dass er die Milch ohne ein Wort zu sagen auf die Bank stellte und sich wieder hin auf sein Lager begab. Nachdem die Sennen mit dem Käsen fertig waren, rafften sie alles mitgebrachte Geschirr zusammen und zogen mit dem Vieh und allem wieder denselben Weg zurück, den sie dahergekommen, und der Jäger hörte sie noch lange in weiter Ferne. Der Jäger konnte nun nicht mehr einschlafen. Er stand auf, nahm seinen Stutzer und machte sich auf den Heimweg. Lange noch fühlte er in der linken Seite heftige Schmerzen. Von der Zeit an hat er das Wildern in den Flühen aufgegeben.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.