Wunderbar war einst das Gebirge. Zwischen den zackigen Hörnern, wo sich heute starre Eismeere ausbreiten, lagen liebliche Täler, über deren grüne Triften der Schmuck farbenprächtiger Blumen ausgestreut war. Die Wälder zogen sich weit höher hinan als heute. Der Mensch aber hatte in diesen hohen Gegenden seine friedlichen Wohnstätten gebaut. Gemstiere weideten in grossen Herden in seiner Nähe und kamen zutraulich herab bis zu seinen Hütten. Keine giftigen und ungeschmackten Kräuter brachte der kräftige Alpgrund ehedem hervor, der im Vergleich mit heute den vielfältigen Abtrag ergab. Keine Gletscher starrten in die Hochtäler herab, dass von ihrer unaufhörlichen Arbeit die Triften darunter hätten Schaden leiden können. Es war allumher eine paradiesische Fruchtbarkeit.
Die Kühe der Bergsennen, die sich in diesen sonnigen, ertragreichen Höhen niedergelassen, waren von ungeheurer Grösse und ergaben einen solchen Überfluss an Milch, dass man diese in gegrabene Teiche melken musste. Aber diese Teiche wurden sehr bald angefüllt. Zu Schiff fuhr man aus, um den Rahm vom Milchsee abzunehmen. Eines Morgens aber, als ein schöner junger Hirt dieses Geschäft verrichtete, warf ein Windstoss seinen Nachen um, dass er in dem weissen Meere elend ertrinken musste. Die Jünglinge und Mädchen trauerten um ihn und suchten tagelang seine Leiche, um ihr ein ehrlich Begräbnis zu geben. Sie suchten aber lange vergeblich. Erst nach einigen Tagen als man buttern wollte, fand sie sich mitten im schäumenden und anschwellendem Rahm eines Butterfasses, das so hoch war wie ein Turm. Da bestattete man den schönen Leib des Knaben in einer weiten Höhle welche von den Bienen mit Honigscheiben, gross wie Stadttore angefüllt worden war.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.