Der Kugelsepp galt zu seiner Zeit als der verwegenste aller Wildschützen im Banne der Muotataler Berge. Er war Bauer und besaß im Tal ein kleines Heimwesen mit etlichen Kühen und hatte eine Frau und drei Kinder. Der Wilderer lachte nur, wenn man mit ihm über Jagdrecht und heilige Feiertage sprach. Er erzählte, es könne ihn niemand so leicht stellen. Die Kugeln lasse er vorher weihen.
Nur einen quälte das Dahinschwinden der Gemsen und Rehe. Es war der Geist auf dem Waldistock, der als Beschützer des Wildes galt. Er hatte schon oft versucht, den Frevlem Fallen zu stellen. Der Kugelsepp merkte aber sofort, wenn das Manndli Stegbretter gelockert und den Wildwechsel ungangbar gemacht hatte oder Steine herunterließ. Darüber lachte und spottete der Wilddieb nur. Eines Tages verwandelte sich der Waldigeist in einen Gemsbock mit weißem Fell und goldenen Hörnern. Er zeigte sich dem Kugelsepp bald hier, bald dort, doch immer an schwer zugänglichen Stellen und in kugelsicherem Abstand. Wie der Frevler erstmals den ‹Goldbock› gewahrte, ergriff ihn eine zügellose Gier, das Tier zu erledigen. Alle andern warnte er, das Tier vor ihm zu schießen. Man sah ihn nun täglich durchs wilde Bergland streifen. Zu Hause vernachlässigte er sein Vieh. Auch die Kartoffeln im Acker wären verfault, hätte nicht seine Frau gearbeitet.
Der in einen Gemsbock verwandelte Waldgeist neckte den Wilderer erbärmlich und lockte ihn über Schroffen und Karrenfelder bis hinauf zur Totenplangg. Daheim erkrankte Kugelsepps Frau, die Kühe im Stall begannen zu serbeln, und die Kinder verwilderten. All dies rührte den Jäger nicht. Er machte sogar Schulden, um Blei und Pulver kaufen zu können, obwohl er von seinen Jagdzügen nicht einmal mehr ein Bratwild nach Hause brachte. Der Waldigeist beschloß, dem Kugelsepp endgültig das Handwerk zu legen. Als Goldbock lockte er ihn auf die Totenplangg hinauf und stellte sich ihm auf einem Felsband. Weil der Wildschütz seiner Beute zu nahe stand, um zu schießen, wollte er ihn erstechen. In diesem Augenblick stieß ihn der Bock mit seinen goldenen Hörnern in die Tiefe. An einer Legföhre blieb er hängen. Tage später wurde er gefunden, nachdem er sich aus Angst, in der Wildnis verschmachten zu müssen, heiser geschrien hatte. Beim Sturz hatte er sich auch einen Fuß gebrochen. Er blieb zeitlebens ein Krüppel, vermochte aber sein kleines Heimwesen weiterhin zu besorgen. Mit der Jagd war es aber endgültig Schluß. Der verwunschene Goldbock, nach dem er sich immer wieder erkundigte, zeigte sich nie mehr. Der Waldigeist hatte sich wieder zurückverwandelt.
Aus: J. Hess, Die singende Quelle, Sagen aus den Schwyzerbergen, Gute Schriften, Zürich