Von der Hinterburgalp hernieder fällt eine mächtige rauhe Geröllhalde in einem Zuge bis in den Talgrund. Bei schweren Sommerwettern, oder wenn im Frühjahr die zerklüfteten Felsen oben in der Halde entfrieren, „chunnd d’Rieseten“, das heisst, lösen sich in der Höhe grössere oder kleinere Haufen von Steinen und stäuben polternd in die Tiefe. In dieser Wüstenei, in der kein Pflänzlein auf die Dauer aufkommen kann und kein Mensch etwas zu suchen hat, haust einzig das Riesetenmanndli.
Im Kienholz wohnte, weiss Gott vor wie vielen Jahren, ein reicher Geizteufel von Bauer. Als der wieder einmal auf der Alp Hinterburg sommerte, und ohne fremde Hilfe, weil er einem Knechtlein hätte Lohn zahlen müssen, brach Mitte Sommer eine böse Dürre aus. Die Hitze wurde so gross, dass das Vieh tagsüber ab der Weide in den kühlen Schatten der nahen
Wälder lief. Eines Tages aber musste in das Gvicht des Geizigen eine besondere Laune gefahren sein. Im Gegensätze zu den Kühen der andern Alpgenossen, die sich bei beginnender Hitze gemächlich in den Schatten gestellt hatten, fingen seine Tiere zu laufen an, was gibst was hast, in den Wald hinein und darinnen immer weiter und weiter bergabwärts, geradewegs auf die Riesetengrinde zu. Wohl lief der Geizige hintenher, rief, schrie, roboste. Alles Wehren und Chetten half aber nicht das Geringste. Haupt um Haupt, eines schöner als das andere, sprang die hohen Grinde hinunter in die Riesete und zuletzt der Mann ihnen nach, und Vieh und Mensch fanden drunten einen grausen Tod.
Seitdem war der Geizige in die Riesete gebahnt. Wenn das Wetter schlechten will, hockt oben in den Felsen ein windbewegter Nebel. Das Riesetenmanndli darf dann holzen und kochen, und zu gewissen Zeiten macht es Steinlawinen zwäg und lässt sie rumpelnd und stäubend zu Tal fahren.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch