Vor Zeiten hauste auf den Strassen und Nebenwegen um Plaffeien, hauptsächlich aber in diesem Orte selbst, ein gräuliches Nachtgespenst. Liess man es ruhig, so tat es keinem Menschen etwas zu Leid; aber wehe dem, der es neckte! Man nannte es den Nachthund, weil es Hundesgestalt hatte, oder den Gassentätscher.
Einmal gingen mutwillige Nachtbuben, lärmend und schreiend, aus dem Wirtshause. Kaum waren sie vor dem Dorfbrunnen, so gewahrten sie das Gespenst. Sie riefen ihm schon von ferne: "He! Gassentätscher, hast du noch Durst?" Kaum hatten sie das gesagt, so verrannte ein grosser, feuriger, roter Hund ihnen den Weg. "Ei, ei", riefen sie wieder, "lass uns durchgehen!" aber vergebens; er streckte ihnen seine flammende Zunge entgegen, die so lang war, als ein Zaunstecken. Erschrocken schlugen sie einen Nebenweg ein; allein ein grosser Ochs glotzte sie heulend an. Bebend und zähneklappernd flohen sie zurück, und siehe da ... es stand ein neues Gespenst, so gross als ein Speicher, hinter ihnen. Das machte sie nüchtern. Durch ein kleines, enges Gässchen konnten sie sich bis zum Wirtshause retten, wo sie zitternd anklopften und totenblass um eine Nachtherberge baten, die ihnen auch ward. Schlaf aber kam die ganze Nacht nicht in ihre Augen.
Ein herzhafter Mann soll den Nachthund einmal bei Bürgeln angeredet und dann mit dem Rosenkranz berührt haben. Da soll sich das Ungetüm erst in eine schwarze Geiss, und dann in einen weissen Geist verwandelt haben und endlich auf dem Kirchhof eingesunken und verschwunden sein. Seit dieser Zeit will man ihn nicht mehr gesehen haben.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch