Der schwarze Mann (C. Kohlrusch)

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf einer Alp im Oberhasli wurden vor Zeiten den Sennen Kühe getötet und zwar immer diejenigen, welche am reichlichsten Milch gaben und die schönsten waren.

Mancher Aelpler, der nicht ab der Alp ziehen wollte, in der Meinung, es werde besser kommen, oder er könne endlich dem Wesen ins Spiel gucken, kam fast um all sein Vieh. Endlich kam es so weit, dass gar niemand mehr die furchtbare Alp bewohnen konnte.

Von nun an sah man öfters eine Kuh, die im saftigen Gras weidete und eine Stimme erscholl: "Wer diese Kuh in einer Stunde fertig melkt und eine Nacht in der Hütte bleibt, der erlöst die Alp."

Manch wackerer Jüngling ging hinauf und unternahm das Wagstück, aber nie kam einer von derselben zurück.

Endlich ging ein herzhafter Aelpler ab einem andern Berg hinauf. Er traf die Kuh im Stall der Sennhütte an und unternahm sein Werk. Ganze Melchtern voll Milch entzog er ihrem Euter; aber als ihm sein Unternehmen gelingen wollte, kam mit fürchterlichem Gepolter ein schwarzer Mann zu ihm in den Stall, der auf mancherlei Art ihn in seiner Arbeit stören wollte. Der Hirt aber achtete sich des unsauberen Gesellen wenig und gab ihm auf seine Reden und Fragen keine Antwort; darum ist es ihm auch geglückt, dass er in einer Stunde fertig wurde mit dem Melken.

Überall ist ihm der schwarze Mann nachgefolgt und hat immer Gleiches getan, was er. Ging der Senn ins Milchgaden, die Milch in die Gebsen zu schütten, marschierte er demselben nach und machte die gleichen Bewegungen des Senns; ging er in den Keller, in die Küche oder in den Futtergang, tat der Schwarze desgleichen.

Selber ins Bett folgte der ungebetene Gast und legte sich mit seinen eiskalten Gliedern neben den Hirten; aber um Mitternacht stand er auf, ging in die Küche und grub mit einem Bickel ein Loch in die Erde. "Komm, hilf jetzt!" rief er dem unerschrockenen Senn zu; "komm, hilf da!" Der Hirt zeigte aber nicht grosse Lust, in mitternächtlicher Stunde einem solchen Schlafkameraden zu helfen und blieb auf seinem Strohsacke liegen. Bald erschien der Schwarze noch einmal unter der Gadentür, hielt ihm ängstlich an, er solle doch kommen und ihm helfen. "Ich rufe dir", sagte er nun noch einmal, "und wenn du das dritte Mal nicht mitkömmst, siehe dann, wie es dir ergeht." Wirklich folgte er ihm auf das dritte Rufen hinab in die Küche. Da war ein grosser Kessel abgedeckt, welcher angefüllt war mit Silber und Gold. Denselben zogen sie nun mit seinem Inhalt auf die Oberfläche des Bodens heraus und der alte Freund der Mitternacht sonderte das Geld in drei Haufen. "Siehe", sagte er, "du hast dich brav gehalten, die Alp ist erlöst, dieser Haufe da ist darum deine Belohnung; der da, der mittlere, gehört dem Herrn an, dessen Eigentum die Alp ist, und jener dort denjenigen, welche auf diesem Berge verarmet sind." Nachdem er das gesagt, verschwand er, und nie mehr nahm man etwas von ihm wahr.

C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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