Nie haben die Bergleutlein, weder Männlein noch Weiblein, irgend einmal jemand etwas zu leide getan, ausser wenn sie auf’s höchste und empfindlichste gereizt worden sind. Wenn man sie aber erzürnte, dann kannte ihre Wut oft keine Grenzen. So ereignete sich einmal folgendes Unglück.
Eine Waldfenka (man nannte sie auch Waldmuttern) sah neugierig, wie das Völklein allgemein war, einem Manne zu, der in einem Walde im Tal Churwalden Latten spaltete. Sie sass an einen Baumstamm gelehnt und da rief ihr der Mann, sie solle ihm doch ein wenig helfen und die Latten auseinanderhalten. Sie kam ganz bereitwillig und half aus allen Kräften. Da stach den Mann die teuflische Bosheit, plötzlich die Axt herauszuziehen. Die Latten schnappten zusammen und klemmten der Waldfenka eine Hand ein. Der grosse Schmerz und die Wut über ihre so schlecht belohnte Hilfeleistung machten sie besinnungslos; sie riss die Hand heraus mit Zurücklassung von drei Fingern, ergriff die Axt, die der Mann im Schrecken über ihr entsetzliches Geschrei und ihre Gebärden hatte fallen lassen, und schlug ihn auf der Stelle tot.
Dieser Mann war Vater von sechs Kindern und seit seinem Tode waren die Waldfenken in schlechterem Rufe als früher und man dichtete ihnen allerlei böses an, obgleich sie sehr dienstfertig und uneigennützig sind.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.