Vor etwa 200 Jahren gab es in der Gegend von Ins noch viele Zwerge, die dort herum im Walde in Höhlen wohnten. Sie wurden, nach dem Stoffe ihres Küchengeschirrs, Holzleutchen oder Erdleutchen genannt. Wegen ihrer grossen Frömmigkeit waren sie von Gott so gesegnet, dass sie nicht nötig hatten etwas zu arbeiten, sondern immer unbesorgt ihr reichliches Auskommen hatten. Dabei waren sie nach unserm christlichen Sinne wohltätig, indem sie die eine Hand nicht wissen liessen, was die andere tat.
Da begab es sich einst, dass eines armen Mannes Frau im Dorfe Ins niederkommen sollte. Für das Wohl derselben besorgt, begab er sich schleunigst in eine Höhle des nahen Waldes, in der ein als Hebamme berühmtes Holzmütterchen wohnte, und bat dasselbe, es solle doch seiner Frau persönlich zu Hilfe kommen. Es kam, und um zugleich der darbenden Familie (denn es war gerade eine Teuerung) als Rettungsengel zu erscheinen, gab es dem Manne ein altes Fürtuch (eine Schürze) voll Goldstücke zu tragen; der aber, in der Meinung, es seien Ziegelstücke, liess hier und da einige Stücke fallen, um nicht vergebens so schwer tragen zu müssen. Das kleine Mütterchen, das solches bemerkte, sagte zu ihm: „Je mehr du zatterst, desto minder hast du." Er hörte nun auf zu zattern, und siehe!, als er zu Hause sein Fürtuch leerte, waren es lauter Goldstücke. Als das Mütterchen nun die nötige Hülfe geleistet hatte, wurde es wieder von diesem armen Manne unter Segenswünschen in die Höhle hinausbegleitet. Da aber die Leute immer gottloser wurden, so haben sich diese frommen Leutchen, die alles Böse verabscheuen, aus dieser Gegend fortgemacht und man weiss nicht, wohin sie gekommen sind.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.