Die Schwimmschuhe der Erdmännchen

Land: Schweiz
Region: Zurzach
Kategorie: Sage

Die vielen Erdmännchen, die vor Zeiten in der Umgegend von Zurzach lebten, wohnten teils zu ganzen Sippschaften, teils einzeln, in den Felshöhlen auf den beiden Rheinufern, und nach dem Namen desjenigen Dorfes, dem ihre Höhle gerade am nächsten lag, benannten und unterschieden sie sich untereinander. Es gab damals Ryburger Männchen, Kadelburger, Dangstettener, Achenberger und noch andere.

Insoweit man ihr Tun und Treiben beobachten konnte, führten sie ein Leben wie alle andern Leute, und zwar im allerbesten Sinne des Wortes. Sie halfen beim Feldbau mit und waren da gesuchte Arbeiter, sie verstanden allerlei Handwerksvorteile, taten den Armen Gutes, hielten zumal das Eigentumsrecht über alles hoch und waren äusserst fleissige Kirchgänger. Allein Dorfkirchen gab es in früherer Zeit hier an dieser Strecke des Rheines gar wenige, so dass die Bauern auf dem Schwarzwalde manche Stunde Weges allemal bis in den Flecken Zurzach zu gehen hatten, wenn sie einmal an Festtagen zum Hochamte oder nur zur Beichte wollten. Wie mussten sich nun aber erst die kleinen Erdmännchen abmüden und ablaufen, deren Höhle eben so weit von Zurzach entfernt sein konnte, die keinen Bauernschritt zu machen hatten und doch die Messen in der dortigen Stiftskirche so heilig und hoch hielten, dass sie nicht eine einzige versäumten. Da hat man gleich ein Beispiel an dem Erdmännchen, welches in Dangstetten wohnte, einem Dorfe, das von Zurzach durch den Rhein geschieden ist.

Sobald dieses die Glocke zur Mette läuten hörte, lief es in aller Finsternis hinab zum Flusse, der aber damals, wie eben heute auch noch, ohne eine Brücke war, schnallte sich am Ufer ein paar Schuhe an, die vorne und hinten geschnäbelt waren und das Aussehen eines kleinen Weidlings hatten, und damit lief es so blitzgeschwind übers Wasser hinüber, dass wenn der Zurzacher Chorherr und sein Ministrant eben zur Sakristei heraus an den Altar gingen, auch unser Erdmännchen richtig in seinem Kirchenbänkchen drinnen stand. Und dass da gar keine Scheinheiligkeit mit im Spiele war, das konnte man ganz genau an jenen andern Zwergen sehen, die zu Kadelburg wohnten. Denn dieses Dorf ist noch viel weiter von Zurzach entfernt, die dortige Zwergenhöhle liegt noch dazu hoch droben über den letzten Kadelburger Weinbergen; und wenn man da im Winter über diese Felsen voll Schnee und Glatteis herabgeklettert und glücklich über das Wasser gekommen ist, muss man erst noch den Wald und das Feld der ganzen, langen Almende durchlaufen, bis man endlich die Türme des Marktfleckens zu Gesicht bekommt. Da galt es also aufpassen, dass man nicht verschlief, dass man im Winter schon vor fünf Uhr morgens herausging, am Glatteis nicht glitschte, in den Schneewehen nicht versank und in der bitteren Kälte nicht erfror, um pünktlich um sechs Uhr beim Anfang des Gottesdienstes im Stift einzutreffen. Und wie schwer und hart waren damals noch die Bussen, wenn so ein schwaches kleines Wesen etwas in seinen Pflichten versäumte oder verfehlte. So hatte das Kadelburger Erdmännchen, um sich das Heruntersteigen von seinen Felswänden zu erleichtern, einmal einen Rebstickel im Weinberge ausgezogen, und kam auf seinem Kirchgange damit ans Ufer anmarschiert. Als er hier wie gewohnt auf seinen angeschnallten Schnabelschuhen den Rhein überschreiten wollte, sank der arme Teufel unter. Dies war die Strafe für seinen begangenen Feldfrevel. Seit dieser alten Geschichte hängt oben am Gewölbe der Zurzacher Stiftskirche ein künstlich geschmiedetes Schiffchen.

 

Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Band 3.1, Leipzig 1962

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

 

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