Als Geschichtsquellen dürfen Sagen nicht oder nur mit Vorsicht gewertet werden. Die Zeit geht hin; die Erinnerung an bestimmte Ereignisse veblasst; einzelne Bestandteile gehen verloren; Fremdes schiebt sich ein. Die deutliche Erinnerung an ein Ereignis geht kaum über ein Menschenalter hinaus.
Wir denen wohl Redensarten als dunkle Erinnerungen an vergangenes Geschehen: „Du bin ig im Runzifal gsi“, oder „Jetz isch Murten uber.“ Aber wer vermöchte das Wort Runzifal richtig zu deuten; das wohl auf Roland im Tal Ronçeval zurückgeht? Vom Bauernkrieg, der bei uns wie kaum ein anderes Ereignis die Gefühle in leidenschaftliche Erregung brachte, weiss niemand etwas zu berichten; vielleicht geht die Redensart: „Driluege wie Schybi", in diese Zeit zurück. Unbedeutende Erinnerungen weisen auf die Begebenheiten des Jahres 1798. Dagegen leben die Hungerjahre 1816 und 1817 noch treu im Gedächtnis fort: „Do si no dr Predig d’Lüt chuppelewis zsämegstange; uf em Chilehof si sie bliebe stoh u hei brichtet, jetz sig dr Präschten a de Härdöpfel; aber mi söll de luege u dra dänke, was sie sägi, es chöm de no a d’War u zletscht a d’Lüt; das fähl si nid.“
Zu Sagenbildung regen besonders Spuren alter Besiedlung an. Überreste verschiedener Art zeugen von vergangenen Geschlechtern, aber die Geschichte vermittelte kein Wissen von den Menschen, die einmal da lebten. Wo aber die Geschichte schweigt, tritt die Sage in die Lücke und erzählt von der Vergangenheit.
Dr Zwingher uf dr Altburg
Bi dr Altburg lit es Schloss verschüttet. Vor Zite isch der e Burg gstange, u die alte Lüt hei gäng brichtet, do sig e wüeschte Zwingher gsi; dä heig e kes Härz gha u de Lüte ’s Bluet unger de Fingernegel vüre drückt. Dür u dür sig er en Uflot gsi, u ke Hahn heig drum gchräiht, wen er öppis Schlächts verüebt heig.
Einisch sig er usgritte. Uf dr Chasere sig ihm e e Buretochter ebcho. Die heig er uf ’s Schloss verschleipft. Em Meitli si Vater sig drufabe zum Schlossher u heig ihm agha, är söll ihm sis einzig Ching umegä. Aber dä heig e kes Bidure gha u ihm d’Hüng aghetzt.
Jetz isch dr Her erscht rächt in e Lärme cho; d’Bure het’s düecht, däwäg chönn’s nümm goh; jetz sig gnue Heu abe. Mit Chnüttlen u Gwehre sige sie gäge d’Burg. Dr Her heig grad wellen usrite u sig ne so schön i d’Häre glüffe. Ob em Lärme sig ’s Ross erschoche u mit em Her i ’s Sodloch gsprunge. Das sig so teuf gsi, dass es bis uf e Grund vo dr Langete greckt heig. Derno heige d’Bure ’s Schloss zerstört; nid en eienzige Stei isch vo de Muren überbliebe.
Die Entstehung der Altburg fällt nach den Ausführungen von J. Wiedmer-Stern in die Mitte des 7. Jahrhunderts. Alemannen errichteten sie als Fliehburg gegen die vordringenden Franken. Der Burghügel trug nicht eine steinerne Ritterburg, sondern mag, der Zeit entsprechend, eine hölzerne Hütte getragen haben. Wälle und Graben besassen hölzerne Schutzwehren und Verhaue.
M. Sooder, Sagen aus Rohrbach, Huttwil 1929
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.